: Sex – und wie er aussieht
ERKLÄRUNGSVERSUCH Das Aufklärungsbuch „Make Love“ will Jugendlichen Sex realistisch und ohne Tabus beibringen. Wie finden die das? Vier Eindrücke 13- bis 19-Jähriger
Protokolle: Annabelle Seubert
„Ein Wort: freizügig“
Als ich das Buch ausgepackt hab, war ein Freund von mir dabei, und bei dem fiel gleich das Wort: freizügig. Das fand ich passend. Gerade bei den Fotos. Die fand ich krass, beim ersten Mal Durchblättern. Beim Lesen dachte ich dann: Die Bilder passen dazu, wie das Buch geschrieben ist. Die Bücher, die wir in der Schule dazu angeschaut haben, waren immer total sachlich. Aber das Buch jetzt fand ich gut, für Kinder in meinem Alter. Da hab ich mich sogar mal angesprochen gefühlt. Eigentlich gefällt mir nur nicht, dass man dafür keine Maus hat und man keinen Button drücken muss, dann wär ich beim Lesen nämlich länger wach geblieben. Ich hab das bis in die Puppen gelesen.
Über Pornos redet gerade die ganze Klasse. Da fand ich das Kapitel zu den sieben Pornolügen und dass für Pornos nur Männer mit einer Schwanzlänge infrage kommen, die relativ lang ist, sehr, ja, informativ.
Meine Eltern hab ich aber nicht an das Buch gelassen. Weil mir das denen gegenüber doch ein bisschen peinlich gewesen wäre. Mich hat die Schule aufgeklärt. Und die Freunde. Und dann wollte mein Vater das ansprechen, und ich hab gesagt: Weiß ich schon. Und dann war’s das.
Mit meinen engsten Vertrauten rede ich da schon drüber. Meinem besten, also einem meiner drei besten Freunde, hab ich gesagt, dass ich ihm das Buch ausleihe. Ich bin ja selbst kein Streber. Aber ich animiere meine Freunde, auch zu lesen, weil ich keine Filme schaue. Oder selten. Aber weil 12-, 13-Jährige fast nie lesen, würde ich das Buch als Stoff in der Schule drannehmen.
Ich finde, dass das Buch weder Lust auf Sex macht noch abschreckt. Aber ich glaube, es ist vor allem für die, die noch keinen Sex hatten. Ich hab jedenfalls einiges daraus gelernt. Also, wenn ich nicht jetzt schon wüsste, dass ich noch nicht alles darüber weiß, würde ich nach dem Buch denken, ich wüsste alles.
■ Ole Jaekel, 13 Jahre alt, ist unserem Facebook-Aufruf gefolgt, Gastrezensent des Buchs zu werden
„Die Fotos sind wie Kunst“
Mir scheint das Buch sehr umfassend, es deckt wirklich alle Bereiche ab, die mit Sex zu tun haben, Schwangerschaft, Verhütung, Stellungen. Mir gefällt, wie es geschrieben ist, so im Stil der Normalität. Manchmal habe ich mich aber am Ton gestoßen, da war’s mir doch zu jugendlich formuliert.
Inhaltlich ist es aber auf jeden Fall auch was für Erwachsene. Das Buch ist echt offen und geht genau auf Erregung ein. Darauf, wie man den Partner besser stimuliert. Das ist ja jetzt nichts, worüber man im Alltag so spricht. Ich bin niemand, der andauernd und tiefgehend mit Freunden darüber spricht. Okay, bevor ich mit meiner Mutter darüber rede, rede ich schon mit Freunden. Und mit meiner Freundin würde ich mich auch über das Buch unterhalten.
Die Fotos fand ich stellenweise zu krass. Einerseits passen sie ins Buch, weil es keine Tabus, sondern Normalität darstellen will. Und es ist ja auch wichtig, dass die Fotos nicht gestellt sind. Andererseits stehen sie in keinem Kontext. Sie kommen einem wie Kunst vor. Aber ich fand’s bewundernswert, dass es auch Bilder von Homosexuellen gibt. Das ist ungewohnt, noch heute.
Auf keinen Fall reicht es, Jugendlichen das Buch in die Hand zu drücken, es braucht auch die Gespräche mit den Eltern. Egal, wie groß der Hype darum ist. Alle Generationen vor uns haben das erste Mal auch ohne solche Bücher hinter sich gebracht.
■ Vincent Streichhahn, 19 Jahre alt
„Das richtet sich an Eltern“
Ich finde nicht, dass sich das Buch an Jugendliche richtet. Ich glaube eher, es richtet sich an die Eltern. Die lesen das und denken dann, die Leute, die das schreiben, verstehen ihre Kinder – also verstehen Eltern ihre Kinder besser, wenn sie das Buch lesen. Und dann freuen sie sich, dass ihre Kinder Bilder zu sehen bekommen, die, wie soll ich das ausdrücken, unkonservativ sind. Und vielleicht nicht so verklemmt, wie sie in Aufklärungsbüchern früher mal waren.
Mir kommen die Fotos pornografisch vor, das ist so, als will man sagen: Das ist nicht schlimm, das ist normal, alle haben Sex und lassen sich dabei fotografieren. Wenn Jugendliche Sexfotos sehen wollen, dann schauen sie Pornos oder kaufen sich ’ne Bravo.
Ich glaube auch nicht, dass Jugendliche dieses Buch gern von ihren Eltern geschenkt bekommen oder dass sich Jugendliche überhaupt Aufklärungsbücher kaufen und da die Blicke der Buchverkäufer kassieren. Wenn ich eine Frage habe, schau ich im Internet nach.
Klar steht auch viel Wissenswertes drin, zum Beispiel, dass Kondome gar nicht so viel bringen, wie man vielleicht dachte. Und es werden viel mehr Verhütungsmittel genannt, als ich kannte. Alles ist auch genauer beschrieben als in solchen Ratgeberzeitschriften. Aber macht das Lust auf Sex? Durch solche Bücher wird Sex doch viel schwieriger, als er vielleicht in Filmen dargestellt wird. Weil ich in solchen Büchern doch erst erfahre, was alles schieflaufen kann.
Man merkt außerdem, dass das Buch von zwei Frauen geschrieben ist. Oft werden die Mädchen viel mehr angesprochen. Den Jungs wird immer gesagt, dass sie auf die Mädchen achtgeben sollen. Wäre das Buch für Jungs geschrieben, würden darin doch Dinge stehen wie: Sex soll Spaß machen.
Wobei es ja generell auch für Jungs interessant sein kann, mehr über die Seite der Mädchen zu lesen. Und zu sehen: Oh Gott! Muss meine Freundin auf viele Sachen achten.
■ Gamze Wierth, 15 Jahre alt
„Im Kopf nicht mehr so groß“
Ich hab’s am Stück gelesen. Es liest sich gut, finde ich, man kommt rein und erfährt, was man vorher nicht wusste. Dinge wie Geschlechtskrankheiten und Verhütung werden ja auch im Unterricht besprochen, aber es gibt viel, was ich vor dem Buch so noch nicht gehört hatte. Über den weiblichen Orgasmus zum Beispiel.
Eigentlich war nichts dabei, was mich jetzt richtig schockiert hat. Sondern vielleicht so Sachen, die dir helfen, die ganzen vielen Infos zu diesem Thema einzuordnen. Im Kopf ist das dann alles nicht mehr so groß.
Die Statistiken fand ich lustig, an manchen Stellen aber ein bisschen seltsam. In einer Statistik geht es um Körperschmuck, und da listen sie Mütter mit Hauptschulabschluss und ohne Abschluss auf, Erwerbstätige und Erwerbslose. Das ist irgendwie so klischeehaft.
Manches gehört da aber echt nicht rein, glaub ich. Auf einer Seite steht was über die verschiedenen Flirttypen. Wer will das denn lesen? Das könnte so auch in einer Mädchenzeitschrift stehen.
Dafür haben mir die Fotos gefallen, also ich hätte so was nicht gemacht, mich da so fotografieren lassen. Aber zum Angucken sind die Bilder schön. Weil die Paare, die da abgebildet sind, normal aussehen und auch, das schreiben sie im Buch, echt zusammen sind, einfach auf der Straße angesprochen worden sind. Pornos zeigen nicht, was wirklich ist. Pornos sind, also das glaub ich, ich hab noch keinen ganz gesehen, überidealisiert.
Meine Mutter fand das Buch auch gut, sie würde es glatt kaufen, hat sie gesagt. Ich hab noch vier jüngere Geschwister, zwei Stiefgeschwister, ein Halbgeschwister und ein Geschwister, und Mama findet, da würde sich das ja richtig lohnen. Für Eltern wär das bestimmt leichter, wenn sie das Buch hätten. Und ich wär auch froh, wenn meine Mutter mir das Buch in die Hand gegeben hätte. Wir haben uns damals nicht nachmittags an den Tisch gesetzt und ich wurde aufgeklärt. Aber ich kann meine Eltern immer was fragen. Außerdem klärt einen ja das ganze Umfeld auf.
Es gibt immer noch was, auch nach dem Buch, das man noch nicht über Sex weiß. Aber ich fühl mich besser informiert. Und ich fand die Sprache total gut. Man merkt schon, dass es zwei Frauen geschrieben haben und dass da Mädchen irgendwie direkter angesprochen werden, auch wenn sie versuchen, Jungs einzubeziehen, in einer Extraspalte zum Beispiel. Ich kann mir trotzdem vorstellen, dass auch Jungs das Buch lesen, weil es so praktisch ist und es so viele Anleitungen gibt.
Ich kann mir auch vorstellen, dass das Buch was für Erwachsene ist. Hinten auf den Seiten geht es um Verhütungsmethoden und wie die so sind. So Dinge, die Erwachsene vielleicht noch nicht wissen. Natürlich lass ich mich da nicht beeinflussen, ob ich jetzt mit der Pille oder der Spirale verhüten soll. Da geh ich ja nicht nach dem Buch. Da geh ich doch zum Frauenarzt.
■ Robynne Winkler, 15 Jahre alt