Die Meinungsfreiheit gewinnt gegen Daimler

URTEIL Konzernkritiker durfte über den Abgang von Ex-Daimler-Chef Schrempp spekulieren, so der BGH

HAMBURG taz | Der Konzernkritiker Jürgen Grässlin hat sich im Prozess um Äußerungen über den einstigen Daimler-Chef Jürgen Schrempp durchgesetzt. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Dienstagnachmittag ist seine Interview-Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt. „An der Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens und dessen vorzeitigem Rücktritt besteht ein großes öffentliches Interesse“, begründet der BGH sein Urteil. (VI ZR 19/08)

Unmittelbar nach Schrempps Rücktritt hatte Grässlin gesagt, Schrempp sei zum Rücktritt gedrängt worden, „und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so sauber waren, die Herr Schrempp geregelt hat“. Dagegen hatten Daimler sowie Schrempp persönlich geklagt und vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg in zweiter Instanz noch Recht bekommen.

Schrempp-Biograf Grässlin hatte im Juli 2005 im heimischen Südwestrundfunk (SWR) heftige Zweifel an Schrempps Geschäftspraxis geäußert. Einen Tag zuvor war der damalige Daimler-Boss, trotz eines bis 2008 laufenden Vertrages, überraschend zurückgetreten – aus freien Stücken, wie Schrempp immer wieder erklärte. Grässlin bezweifelte auch dies in seinem spontanen Fernsehinterview mit dem SWR. Allerdings hatte Grässlin nicht einfach eine Behauptung aufgestellt, sondern seine Ansicht mit „ich glaube“ als Meinung gekennzeichnet.

Grässlin hält daher die BGH-Entscheidung für einen „Sieg der Meinungsfreiheit, der Bürgerrechte und der Demokratie“. Was er und nun auch die Bundesrichter für eine legitime Meinungsäußerung halten, war für Schrempp eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Ein Daimler-Sprecher hatte noch vor der Urteilsverkündung gesagt: „Mit zwei zu unseren Gunsten ergangenen Urteilen in den Vorinstanzen gibt es keinen Grund, die Klage zurückzunehmen.“

Auch das Hamburger Gericht hatte während der ersten Verhandlung im November 2007 allerdings schon Verständnis für die Kritik an der Ära Schrempp geäußert. Bei Daimler scheinen „schlimme Dinge“ gelaufen zu sein, meinte Oberlandesrichterin Marion Raben. Die Kritik reichte von der Unterstützung der südafrikanischen Apartheidpolitik der 80er-Jahre durch Schrempp bis zu einem Interview mit der Financial Times über die Fusion mit Chrysler, für das Daimler den Chrysler-Aktionären 300 Millionen US-Dollar Schadenersatz zahlen musste. Trotzdem, so Richterin Raben damals, habe Grässlin seine Kritik zu persönlich formuliert. Dieses Urteil hat nun der BGH revidiert.

HERMANNUS PFEIFFER