Das Elefant und das Hamster bleiben außen vor

Mit Lernangeboten in den Sommerferien sollen Kinder in allen norddeutschen Bundesländern Defizite in der Schule aufholen. Der Erfolg ist allerdings sogar dort zweifelhaft, wo die Programme nicht aus dem Boden gestampft werden mussten, sondern wie in Hannover seit vielen Jahren etabliert sind. Im besten Fall gelingt es den angehenden Päd­ago­g:in­nen dort, die Motivation von Kindern, die zum Teil mehrere Jahre hinterherhinken, wieder ein wenig anzuregen

Auf jeden Fall für viele besser, als zu Hause rumzusitzen: Sommerschule in den Sommerferien des vergangenen Jahres Foto: Andreas Arnold/dpa

Von Joachim Göres

Drei Jungen und vier Mädchen, die meisten aus der 6. Klasse, haben sich in der IGS Vahrenheide um neun Uhr bei Jasmin Ernst und Mona Meyer eingefunden. Trotz Osterferien. Im Stuhlkreis erzählen sie kurz, wie es ihnen gerade geht – zwei Schüler haben kaum geschlafen und gähnen –, danach wird „Arche Noah“ gespielt: Mona Meyer nennt ein Tier mit dazugehörigem Artikel, das sie auf die Arche mitnimmt und die Jugendlichen müssen reihum ebenfalls ein Tier mit Artikel nennen. Sie müssen dabei die Regel herausfinden, von der abhängt, ob das von ihnen genannte Tier mitgenommen wird oder nicht. Entscheidend dafür ist der Artikel, der bei diesem Rätsel geübt wird. Das Elefant, das Hamster – die Studentinnen müssen häufiger mal korrigieren.

Ein regulärer Schulunterricht findet in Zeiten von ­Corona schon lange nicht mehr statt. Es wird befürchtet, dass viele Kinder und Jugendliche zu Hause allein vor ihrem Computer mit dem Lernstoff überfordert sind. „20 bis 25 Prozent der Schüler haben vermutlich große Lernrückstände – vielleicht sogar dramatische“, sagt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Sie will eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen, damit nach diesem Schuljahr Defizite aufgeholt werden können.

Seit dem Beginn der Pandemie gab es bereits vielerorts freiwillige und kostenlose Zusatzangebote für Schülerinnen und Schüler. In Hamburg fanden in den Ferien im März an 244 Schulen sogenannte Lernferien mit mehr als 1.200 Lerngruppen aus jeweils acht bis zehn Teilnehmern statt. Die Vermittlung sprachlicher und mathematischer Kenntnisse stand im Vordergrund. Eingeladen wurden dazu vor allem Kinder mit Lernschwächen und Sprachförderbedarf sowie diejenigen, denen Unterstützung beim Lernen fehlt.

In Bremen machen 36 Schulen in diesen Osterferien freiwillige Lernangebote. In Schleswig-Holstein nutzten im vergangenen Jahr 3.830 Schülerinnen und Schüler die Angebote des Lernsommers 2020, 145 der 792 öffentlichen Schulen beteiligten sich daran. Vielfach lehnten Lehrkräfte die Teilnahme aber auch wegen der kurzen Vorbereitungszeit ab.

„Die Erfahrung, dass wir uns in der Sommerschule um sie gekümmert und sie auch etwas verstanden haben, kann die Motivation für das neue Schuljahr erhöhen“

Janina Kleff, Sonderpädagogik-Studentin

Dagegen gibt es in Hannover bereits seit 2008 jährlich eine Sommerschule. Geleitet werden die Ferienkurse von Studierenden der Sonderpädagogik wie Jasmin Ernst und Mona Meyer. Sie sind mit ihrer Gruppe bei der schriftlichen Division an der Tafel angelangt. 675 geteilt durch 5 – „Weiß jemand, wie das geht?“, fragt Jasmin Ernst. Zwei Mädchen zeigen an der Tafel, dass sie das Prinzip verstanden haben, die anderen schweigen. Die Studentinnen teilen Arbeitsblätter aus, gehen rum und helfen, wenn nötig.

Merle, die schnell fertig ist, bekommt etwas schwierigere Aufgaben. „Ich bin freiwillig hier, weil ich mich verbessern möchte“, sagt das Mädchen mit der Muttersprache Russisch. Nachdem alle ihre Zettel mit Namen abgegeben haben, wird Mathe-Bingo gespielt. 16 vorgegebene Zahlen werden in einen Kasten an einer beliebigen Stelle eingetragen, danach sind Aufgaben wie 8 mal 3 oder 54 minus 5 zu lösen, indem das richtige Ergebnis in dem Kasten markiert wird. Wer zuerst vier Zahlen in einer Reihe markiert hat, sagt Bingo.

„Solche Aufgaben haben Grundschulniveau, doch vielen bereitet das Multiplizieren und das Dividieren Probleme. Bevor das nicht sitzt, brauchen wir nicht weitergehen“, sagt Jasmin Ernst.

Für die diesjährigen Sommerferien gibt es noch keine genauen Informationen der einzelnen Bundesländer über ihre Sommerschul-Angebote. Aber im Norden haben alle angekündigt, wieder Lernangebote zu machen.

In Bremen wird es auf jeden Fall wieder Lernferien geben. Näheres wird die Bildungssenatorin zu gegebener Zeit auf www.bildung.bremen.de bekanntgeben.

Auch in Schleswig-Holstein und Hamburg (www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/III/iii_node.html und www.hamburg.de/bsb) soll es Sommer-Angebote geben.

In Niedersachsen hatten Kirchen im vergangenen Sommer für 6.500 Kinder Lernräume an 600 außerschulischen Orten geschaffen (www.kirche-schafft-lernraum.de), ähnliche Angebote sind auch für diesen Sommer wieder geplant.

Was hat das freiwillige Lernen in den Sommerferien gebracht? Diese Frage wurde in Hannover im vergangenen Jahr erstmals systematisch untersucht, indem vor und nach der dreiwöchigen Sommerschule die Kenntnisse von 278 Teilnehmern der Klassen 5 bis 7 in Deutsch und Mathe mit Tests erfasst wurden. In Mathe wurden deutliche Verbesserungen registriert, am Ende der Sommerschule sei das Niveau der 5. Klasse erreicht worden. Der Bericht spricht allerdings von einem weiter bestehenden Bedarf an Förderung „mindestens für die Schülerinnen und Schüler, die bereits die sechste und siebente Klasse besuchen“. Auch beim Lesen wurden bessere Leistungen festgestellt.

Dagegen blieben die Schwierigkeiten in der Rechtschreibung bestehen, vor allem in der Groß- und Kleinschreibung. „Es hat sich herausgestellt, dass sie viele Wörter nicht kennen und es ihnen schwerfällt, die Wortart zu benennen“, so die Sonderpädagogik-Masterstudentin Janina Kleff, die mit einer Kommilitonin eine Sommerschulgruppe mit Siebenklässlern geleitet hat, darunter niemand mit Deutsch als Muttersprache. „Insgesamt bleiben die schriftsprachlichen Leistungen auch zum zweiten Messzeitpunkt noch deutlich hinter den durchschnittlichen Leistungen von Schülerinnen und Schülern der fünften Klassenstufe zurück“, heißt es im Abschlussbericht.

Einige Teilnehmer äußerten bei der zweiten Befragung eine etwas positivere Einstellung zur Schule. Darauf setzt Kleff: „In drei Wochen kann man nicht große Defizite ausgleichen, sie hinken manchmal mehrere Jahre hinter dem Niveau in ihrer Klasse hinterher. Aber die Erfahrung, dass wir uns in der Sommerschule um sie gekümmert und sie auch etwas verstanden haben, kann die Motivation für das neue Schuljahr erhöhen.“