Mehr berlinern, bitte!

Die Berliner müssen ihren Slang mehr gebrauchen, das gebietet schon die Pisa-Studie. Denn dort, wo Dialekt gesprochen wird, schneiden die Schüler bei den Schulvergleichen besser ab. Ein Plädoyer

VON WALTRAUD SCHWAB

Bevor Eliza Doolittle auf deutschen Bühnen zur Fair Lady wird, berlinert sie. „Et jrünt, so jrün …“ Mit Mühe wird ihr der falsche Duktus von Professor Higgins ausgetrieben, denn das Berlinische sei eine Ausgeburt des Vulgären. Im Irrglauben, dass ihr Slang nichts als Albernheiten, grammatikalische Absurditäten und Proletenweisheiten hervorbringe, sind ganze Schuljahrgänge in Berlin gehalten worden.

Falsch, alles falsch. Die Berliner PennälerInnen hätten – nimmt man den Vorsitzenden des Deutschen Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, beim Wort – vermutlich bei Pisa besser abgeschnitten, wäre ihnen das Berlinische nicht madig gemacht worden. Meidinger sagt, dass Kinder, die Dialekt sprechen und gleichzeitig lernen, sich in der Hochsprache auszudrücken, einen Kompetenzgewinn beim Lesen, beim Verstehen und beim Abstraktionsvermögen haben. Dies sei auch ein Grund, warum SchülerInnen aus den süddeutschen Bundesländern, wo gesächselt, geschwäbelt, bayrisch oder alemannisch geredet wird, bei den Pisa-Leistungstests besser abgeschnitten hätten. Zwar müssten, wenn es um die Beurteilung schulischer Leistungen gehe, auch Sozialstrukturen, Unterrichtsführung und der Anteil der Migrantenkinder berücksichtigt werden, aber das Vorurteil, dass dümmer sei, wer Dialekt spreche, sei durch die Pisa-Studie widerlegt.

Leute, berlinert! Dies ist damit Gebot der Stunde! Vergesst, dass ihr jahrelang getriezt wurdet! „Aus Ihnen wird nichts, wenn Sie weiter so berlinern“, hätten die Lehrerinnen früher immer gesagt, erzählt eine 40-jährige Reinickendorferin. „Sagen Sie mal, wie reden Sie denn mit mir, hab ich gesagt. Ich bin doch Berlinerin!“ Da verstumme man eben.

Aber Ausnahmen bestätigen die Regel, auch in Reinickendorf. „Inna Oberstufe stand plötzlich Dialekt uff’n Lehrplan, und da sollt ick ’n Zille-Jedicht lesen. Die Lehrerin war vorher damit uff die Neese jefallen.“ Die Triezerei an der Schule sei ein Trauma gewesen, sagt die Reinickendorferin, „weil ich mich nicht als Gesamtperson integriert fühlte, als ob ich ewig Proletin wäre“.

Ob Meiningers These auf Berlin übertragbar ist, ist eine andere Sache. „Ich würde es begrüßen, wenn der Stadtdialekt mehr gepflegt würde. Berliner Schnauze ist einfach was Tolles. Die schulischen Leistungen werden auf keinen Fall darunter leiden“, meint er. Der Vorsitzende der mit 89.000 Mitgliedern größten Lehrerorganisation ist Schuldirektor im bayrischen Deggendorf, aber stets gern in Berlin.

Die Situation an den Schulen in der Hauptstadt schätzt er, allem Augenzwinkern zum Trotz, kritisch ein. Denn seine These lasse sich nicht eins zu eins auf die Migrantenkinder übertragen. „Zweisprachigkeit funktioniert nur, wenn man konsequent und früh beide Sprachen spricht.“ Migrantenkinder, die erst in der Schule Deutsch lernten, ohne adäquat gefördert zu werden, blieben in beiden Sprachen auf halber Strecke stehen. Die Realität an den Berliner Schulen sähe leider danach aus.

Bleibt die Hoffnung, dass Kanak-Sprak, jener Mix aus falschem Deutsch, Berliner Slang und türkischem Beiwerk, bald die Rolle des hiesigen Dialekts einnimmt – und die Berliner Schüler und Schülerinnen die süddeutschen damit in ihre Schranken verweisen.