Ideenlosigkeit pur

betr.: „Vertauschte Politik“, Kommentar zum Wahlprogramm der Union von Ralph Bollmann, taz vom 12. 7. 05

Dieser wohlmeinende Kommentar auf der ersten Seite ist kaum nachvollziehbar. Mit dem bisschen Lohnnebenkostensenkung durch eine Steuererhöhung ist wohl keine Aufbruchstimmung in Deutschland zu erzeugen. Die erst großartig angekündigte Gesundheits- sowie Steuerreform wird erst einmal gar nicht angepackt, dafür keine Impulse und Geld für die Bildung. Das ist Ideenlosigkeit pur! So wird’s mit Schwarz-Gelb nicht vorangehen in diesem Land.

HARTMUT GRAF, Hamburg

Frau Merkel rückt doch nicht deshalb von der Reform der Krankenversicherung ab, weil sie Angst vor tiefer Depression und Panik hat, die den Populisten einen Weg zur Macht eröffnen würde. Vielmehr wird eine solche Reform in den beiden Unionsparteien nicht gern gesehen. Es sei noch einmal daran erinnert, dass Herr Stoiber sich der unsäglichen Wertedebatte bedienen musste, um seinen Parteitag im letzten Jahr zu retten. Der Gesundheitsreformkompromiss stieß nämlich auf wenig Gegenliebe der Delegierten, während die nichts sagenden Werteparolen im Anschluss für Standing Ovations sorgten. Ist aber auch logisch. Denn bei Themen, wo wieder jeder mitreden kann, ist die Begeisterung schnell erreicht. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit zur Reform der Sozialsysteme. Kopfpauschale oder Bürgerversicherung, zwei Konzepte, die eigentlich im Wahlkampf 2006 ganz oben stehen sollten, verschwinden nunmehr hinter der alles beherrschenden Diskussion um eine Mehrwertsteuererhöhung. ANDRÉ TAUTENHAHN, Wunstorf

Und was wäre, wenn Angela Merkel nicht scheitert? Das kann nach zeitgeistgemäßer Lesart nur bedeuten, dass sie Jobs schafft, mit denen die Menschen schlechter leben als vorher ohne. Merkel wäre die deutsche Antwort auf Thatcher. Dann doch lieber einen „Populisten“ wie Lafontaine. Populist heißt nur, dass er beim Volk gut ankommt. Aber unsere Medien benutzen den Begriff gerne, um Politiker die nicht dem Neoliberalismus nachlaufen, als unseriös darzustellen. Und die Wähler der „Populisten“ als blöd. Man kann nur hoffen, dass Merkel und Co. scheitern. UWE SAFIKA, Hückelhoven

Das Rennen zu den Fleischtöpfen der Regierungs- und Oppositionsbänke hat begonnen. Wahlprogramme werden vorgestellt, die an einer Realität ausgerichtet sind, die in einem seit Jahrzehnten andauernden Prozess zu dem geführt haben, was A. Merkel mit den Worten „Deutschland ging es noch nie so schlecht wie heute“ bewertete.

Nicht Deutschland, sondern einer immer größer werdenden Zahl von Menschen ging es noch nie so schlecht wie heute: Das wäre die korrekte Formulierung. Verspricht das Wahlprogramm doch, dass es ihnen künftig noch schlechter gehen soll. Nicht nur, aber auch, durch die Mehrwertsteuererhöhung. Diese wirkt zwar nicht auf Mieten, aber auf die Nebenkosten. Mehrkosten bei der Bundesagentur für Arbeit für die Heizkosten der Alg-II-Empfänger inklusive. Die weiteren Nebenkosten, Wasser, Strom, Rundfunkgebühren, Telefon, etc. sind ebenso mehrwertsteuerpflichtig, wie alle übrigen Dinge des alltäglichen Bedarfs, die von 345 Euro im Monat finanziert werden müssen. Nagen schon viele Menschen am Hungertuch, nimmt die CDU/CSU ihnen dieses jetzt auch, und verweist auf die blanke Tischkante. Irgendwoher muss ja das Gold kommen, mit dem die Ärsche derer gepudert werden, deren Lebensrealität sich am Börsenspiegel orientiert. DIETERE DRABINIOK, Saarbrücken

betr.: „Mehrwert à la Merkel“, taz vom 11. 7. 05

Frau Merkel gibt neuerdings kund, sie will unbedingt eine „Globalisierungsgewinnerin“ sein. Ach ja, und wir, die deutschen „Menschen draußen im Lande“ wären dann mit von der Winner-Partie. Was bildet diese ehrgeizige Dame sich eigentlich ein, wer darf denn gern weltweit die Rollen der Loser übernehmen? Ich finde diese Frau sooo peinlich, auch weil ihre strukturelle Ignoranz so ungeheuer burschikos daherkommt. Schon im Oktober 2003 sprach Merkel überaus spöttisch, abwertend und eiskalt vom „Heulen und Zähneklappern“ derer, denen sie die soziale Unterstützung versagen müsse. Wir – das Volk – indes, sollten eine gedankenarme, aber rigide Plaudertasche mit ihrem notorisch maschinell tönenden Vokabelstakkato nicht unterschätzen. Sie wirkt wahrhaftig nicht klug, aber zum Dummmachen der bereits Desorientierten doch von kalkulierter Machtschläue ziemlich durchdrungen. MILENA BÜCHNER, Köln

betr.: „Die Ausschlussformel“ von Chr. Semler, taz vom 11. 7. 05

Wir reden alle nur um das eigentliche Problem herum. Erwerbsarbeit im herkömmlichen Sinne wird es in Zukunft weniger geben, als wir uns derzeit vorstellen können. Leider haben fast alle Politiker dies noch nicht erkannt. Dabei gibt es eine Alternative, die die Kluft zwischen Staat, Arbeitern und Unternehmern völlig auflösen könnte: Das bedingungslose Grundeinkommen, vergleichbar mit Hartz IV, aber eben ohne den Verwaltungsaufwand, da bedingungslos.

Man stelle sich vor: Sozialversicherungen wird es nicht mehr geben, ebenso wenig deren Verwaltung. Es bleibt die Zahlung eines für alle gleichen Betrags als Basis, die jeden absichert. Die Verantwortung wird dem einzelnen Bürger übertragen. Unternehmen wird dies freuen, da nicht mehr jeder arbeiten muss und so sinnvoll rationalisiert werden kann, ohne auf soziale Belange Rücksicht nehmen zu können. Der Bürger hingegen kann frei entscheiden, zusätzlich mehr Geld zu verdienen, ist aber nicht dazu gezwungen. Dies führt zu einem schlanken, aber sozialen Staat, zu einer flexiblen Unternehmenspolitik und vor allem zur Freiheit des Einzelnen.

Jeder, der jetzt aufschreit, wie denn ein Grundeinkommen finanziert werden könne, sollte sich überlegen, wie viel Geld in die Verwaltung des derzeitigen Missstandes fließt. Abschaffung der Einkommensteuer zugunsten der Flexibilität der Arbeit und eine höhere Mehrwertsteuer mit stufenweisen Luxuszuschlägen bis hin zu 200 Prozent können das Grundeinkommen finanzieren. Der Bürger wäre bereit zu zahlen, denn er wüsste, dass seine Konsumbemühungen nicht erst über die Wirtschaft laufen müssen, damit das Geld an ihn zurückfließt. Stattdessen würde jede Ausgabe umgehend das System stützen. Eine sozialistische freie Marktwirtschaft, sozusagen. Die Zeit ist reif. TORSTEN NOWICKI, Hamburg

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