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: Die Möglichkeit kleiner Katastrophen

Mein Freund K. und ich gehen im Volkspark spazieren. Es ist einer der ersten Frühlingstage. Der Schnee ist schon fast weggetaut und die Hundekacke ist aufgeweicht. Auf den grünbraunen Hängen im Park liegen einzelne Straßenabgrenzungen, die noch vor Kurzem als Schlitten benutzt wurden. K. zieht seine Jacke aus. Wir stellen fest, dass man im Lockdown seit Wochen die gleichen Strecken geht und es einem schon wie eine Zumutung vorkommt, die Parkrunde mal andersherum zu drehen anstatt wie immer auf der einen Seite.

„Ganz schön öde ist es einem jetzt manchmal geworden“, sage ich.

K. stimmt zu, sagt dann aber: „Na komm, ich zeig dir mal was.“

Wir laufen weiter durch den Volkspark, überqueren die Uhlandstraße, laufen weiter durch den Park und gehen immer weiter, bis wir an eine Fußgängerbrücke kommen. Ich staune. Hier war ich noch nie. Die Brücke ist blau und führt in einem Bogen über die Autobahn. Linker Hand ist das Heizkraftwerk Wilmersdorf mit den drei großen Türmen, davor die Autobahn mit den Zubringern durch ein Wohnviertel, unter uns die Schienen der S-Bahn. Auf der anderen Seite ist der Funkturm zu sehen.

„Wow“, sage ich ehrlich beeindruckt. Wir laufen auf der Brücke, bis wir direkt über der Autobahn sind. Unter uns rauschen die Autos auf sechs Spuren.

„Sehr urban romantisch, oder?“, findet K., grinst und hält sich in der Mitte der Brücke an einem Pfeiler fest. Ich gucke und frage dann: „Musst du dich festhalten?“

Er nickt. „So ganz geheuer ist mir das hier nicht.“

„Hast du etwa auch Höhenangst?“, frage ich.

„Genau, wobei ich es eher Höhensog nennen würde, weil ich mir immer vorstelle, dass ich falle.“

„Das kenne ich, hier ist es bei mir nur grad nicht so schlimm. Aber spürst du, wie die Brücke vibiriert? Auch wenn man weiß, dass das ja genau richtig ist, fühlt es sich mit der Optik zusammen komisch an, oder?“

K. sieht jetzt aus, als würde er sich grad vorstellen, wie die Brücke zusammenbricht. Wir gucken uns an und müssen lachen.

„Die Möglichkeit einer Katastrophe“, sagt er.

„Wollen wir gehen?“, frage ich.

Auf dem Rückweg reden wir über Filme und das Kino. K. ist Journalist, schreibt unter anderem Filmkritiken und hat daher ziemlich unter dem Lockdown zu leiden. Während wir reden, sehe ich nebenbei auf unserem Weg kleine Katastrophen. Eine alte Frau, die sich in ihrer Hundeleine verwickelt und fällt, ein Kind, das vom Klettergerüst fällt, und ein Hund, der fast von einem Auto überfahren wird.

Als wir über eine extrem schlammige Wiese gehen, denke ich ganz kurz, dass es wirklich blöd wäre, hier auszurutschen und hinzufallen. Der Boden ist schwarz und extrem rutschig. Da sehe ich, wie K. mit den Armen rudert und hinfällt.

„Scheiße, ich habe eben noch dran gedacht“, rufe ich, fasse ihn am Arm und falle fast selbst noch in den Modder. Als wir uns auf den festen Weg zubewegen, schmatzt der Boden unter unseren Schritten. K.s Hose und seine Jacke sind hinten komplett eingesaut, schwarz und glipschig. Ebenso seine Hände. Er hält sie nach oben von sich gestreckt wie zwei fremde Gegenstände, und ich suche nach einem Taschentuch. Die Vorbeigehenden gucken uns amüsiert an. Ein Kind ruft: „Ihhh, Mama, guck mal, der Mann da“, und K. sagt laut: „Ich hoffe, es riecht nicht so, wie es aussieht.“

Ich kichere.

K. guckt mich jetzt von der Seite an: „Alles okay? Warum kicherst du?“

„Ich musste nur eben dran denken, wie es wäre, hier im Schmodder auszurutschen.“

„Und wie wäre es?“, fragt K.

„Lustig wäre es“, finde ich

„Gehen wir jetzt noch ein Bier vor dem Späti trinken? Das ist auch lustig“, sagt K.

Isobel Markus