Gefährliche Eskalation im Gaza-Streifen

Militante Islamisten und Palästinenserpolizei liefern sich blutige Gefechte, es gibt Tote und Verletzte. Polizeistation in Brand gesteckt. Zuvor hatte die Hamas Raketen auf israelische Siedlungen abgefeuert. Israels Premier droht mit hartem Vorgehen

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Einen Monat vor dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen liefern sich nicht nur israelische Soldaten mit palästinensischen Oppositionellen neue Gefechte. Auch bei Auseinandersetzungen zwischen Kämpfern der islamistischen Hamas und palästinensischen Sicherheitskräften kommt es zu Toten und Verletzten. Gestern starben bei diesen Auseinandersetzungen mindestens zwei unbeteiligte Passanten, über 20 Menschen trugen Verletzungen davon. Erst am Vortag war Palästinenserpräsident Machmud Abbas in den Gaza-Streifen gereist, um die Widerstandsgruppen an ihre Verpflichtung zur „Hudna“, zum Waffenstillstand, zu erinnern.

„Der Weg der Gewalt führt zu nichts“, meinte Abbas kurz vor seiner Abreise. Um den Gaza-Abzug gelingen zu lassen, müsse „die Lage ruhig sein“. Gleichzeitig kritisierte Abbas die jüngsten israelischen Militäroperationen, darunter die gezielte Exekution eines Aktivisten des Islamischen Dschihad und die Neubesetzung der Stadt Tulkarem – Vergeltungsmaßnahmen für das Attentat am Dienstagabend, dem fünf Israelis zum Opfer fielen.

Freitag früh setzten Aktivisten der Hamas eine Polizeistation in Gaza sowie mehrere Fahrzeuge der Sicherheitskräfte in Brand. „Die Männer der Issedin al-Kassam (militanter Arm der Hamas) werden den Versuchen, den Raketenbeschuss zu stoppen, nicht nachgeben“, erklärte ein Sprecher am Freitagmorgen vor Journalisten in Gaza.

Bereits kurz nach seiner Wahl zum Palästinenserpräsident Anfang des Jahres hatte Abbas einige tausend Sicherheitskräfte im nördlichen Gaza-Streifen stationiert, worauf sich die Lage umgehend beruhigte. Derzeit befinden sich 5.000 palästinensische Polizisten im Sondertraining für ihren Einsatz während und nach dem Abzug. Am Donnerstag forderte erneuter Beschuss auf eine am Gaza-Streifen angrenzende Siedlung nach Monaten wieder ein erstes Todesopfer, als eine 22-jährige Frau direkt von einer Rakete getroffen wurde.

Israels Premierminister Ariel Scharon hatte wiederholt angekündigt, dass „nichts und niemand“ die vorgesehene Zeittafel des am 15. August beginnenden Abzugs beeinflussen werde und er gleichzeitig auf Gewalt mit harter Hand reagieren will. Sollten die palästinensischen Sicherheitskräfte die Gewalt nicht beenden, so hatte Scharon angekündigt, „werden wir selbst die Aufgabe übernehmen“.

Bei einem Raketenangriff israelischer Kampfhubschrauber sind gestern im Westjordanland drei Mitglieder der Hamas-Bewegung getötet worden. Nach palästinensischen Angaben feuerten die Soldaten aus zwei Hubschraubern drei Raketen auf ein Fahrzeug bei Salfit ab, in dem die Männer saßen.

Kurz darauf wurden bei einer Explosion in einem Fahrzeug in der Stadt Gaza drei weitere Hamas-Mitglieder getötet. Nach palästinensischen Angaben handelte es sich vermutlich um die frühzeitige Explosion einer Bombe in dem Auto. Die Männer hätten Sprengstoff in ihrem Auto transportiert und seien offenbar auf dem Weg zu einem Anschlag gewesen.

Die Eskalation folgt einer Reihe schwerwiegender Zwischenfälle, denen die palästinensischen Sicherheitskräfte machtlos gegenüberstehen: den Warnschüssen gegen Abbas Anfang des Jahres, dem Mordanschlag auf einen hohen Mitarbeiter des Informationsministeriums, und erst Anfang dieser Woche dem Angriff auf einen Beamten des Innenministeriums, der mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, nachdem ihn drei maskierte Männer zusammengeschlagen hatten.

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