Damit Hitler nicht gewinnt

JÜDISCHE GEMEINDE Obwohl viele jüdische Berliner nach dem Krieg erst ans Auswandern dachten, entstand 1959 in der Fasanenstraße das Jüdische Gemeindehaus. Vom Gemeindeleben erzählt nun eine Fotoausstellung

Fast mit Händen zu greifen ist das Bemühen, etwas Normalität im völlig Unnormalen zu demonstrieren

VON PHILIPP GESSLER

Die ganze Tragik des deutschen Judentums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hier wird sie in knappstmöglicher Form illustriert: „Es wäre für mich eine Freude“, so schrieb Fred E. Grossmann am 11. April 1958 aus New York, „wenn ich, wahrscheinlich als einer der wenigen Überlebenden aus der glorreichen Vergangenheit ‚meiner Synagoge‘ – mit welcher Inbrunst sangen wir im August 1914 die patriotischen Lieder! –, an der Einweihungsfeier der wieder entstandenen Synagoge teilnehmen könnte.“

Am Sonntag jährt sich zum 50. Mal die Einweihung des Jüdischen Gemeindezentrums in der Fasanenstraße. Anlass genug für eine feine, kleine Ausstellung just in diesem 50er-Jahre-Bau, die durchaus stimmig beginnt mit dem Brief des so unglaublich kaisertreuen Grossmann – er schwärmt von „(unserem guten alten!) Kaiser Wilhelm“. Das Schreiben Grossmanns beleuchtet zugleich den Hintergrund, vor dem die Geschichte des Jüdischen Gemeindezentrums, ja der Jüdischen Gemeinde der Hauptstadt, erst verständlich wird: das Trauma der Schoah. Und der Versuch, dennoch im Land der Täter ein neues jüdisches Leben aufzubauen.

In der Ausstellung ist das Gemeindezentrum selbst ein beredtes Beispiel für diese Spannung: Der immense Vorläuferbau, an den sich Grossmann in seinem Brief an die Jüdische Gemeinde erinnert, wurde in der Pogromnacht vom 9. November 1938 niedergebrannt. Noch bis 1957 stand er als Ruine mitten im wieder aufblühenden Westberlin. Es war eine steinerne Mahnung schräg gegenüber dem Wirtschaftswunderhotel Kempinski. Das passte. Und natürlich dachte die Berliner Restgemeinde unter ihrem Übervater Heinz Galinski zunächst an vieles, sicher meist an eine rasche Auswanderung, nur nicht an die Errichtung eines neuen Gemeindehauses samt Synagoge.

Das Haus und seine Architektur waren also an sich bereits ein Ausrufezeichen der Gemeinde: einerseits baulich mit der Integration von Säulen, die noch aus der Vorläufersynagoge stammten; andererseits auch mental, denn gesagt wurde mit dem Bau auch: Ja, wir wollen hierbleiben, trotz oder vielleicht gerade wegen der Vergangenheit – damit Hitler nicht doch noch gewonnen hat und keine Juden mehr in Deutschland leben!

Das ganz normale Leben

Denn ums Leben, um das ganz normale jüdische Leben, geht es der Ausstellung besonders. Gestaltet wurde die Schau von der Publizistin und taz-Autorin Esther Slevogt, die zum Thema Jüdisches Gemeindezentrum Berlin bereits 2006 den sehenswerten Dokumentarfilm „Auf jüdischem Parkett“ gedreht hat. Wie in diesem Film zeigen die Fotos der Ausstellung, mit leichter Ironie ausgewählt, so etwas wie den Alltag der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands. So sieht man neben den staatstragenden Bildern von der Eröffnung des Hauses mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Willy Brandt viele Hochzeiten, Feiern und Gedenkveranstaltungen der vergangenen 50 Jahre. Ein paar Schauspielsternchen und -stars sind zu sehen wie Karel Gott, Günter Pfitzmann oder Inge Meysel, alle eingeladen als Ehrengäste von Bällen oder Wohltätigkeitsbasaren. Fast mit Händen zu greifen ist da das Bemühen, wieder dazuzugehören, etwas Normalität im völlig Unnormalen zu demonstrieren.

Denn natürlich war dieses jüdische Leben in Berlin nach dem Holocaust zumindest lange Zeit alles andere als „normal“. Wie könnte es anders sein. Das wird vor allem an drei bedrückenden Exponaten der Schau deutlich: Da sind ein paar Hetzbriefe zu sehen, die Galinski von Antisemiten erhielt – ein überaus deutliches Zeichen dafür, dass die Judenfeindlichkeit nach 1945 weiterlebte (und weiterlebt). Da wird zum anderen an den fehlgeschlagenen Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus durch linke Spinner um Dieter Kunzelmann im Jahr 1969 erinnert.

Ein Blick ins Wohnzimmer

Und da ist schließlich das vielleicht eindruckvollste Bild der Ausstellung zu bestaunen. Es wurde Anfang Juni 1967 im Gemeindehaus aufgenommen, in einem Klassenraum der Jüdischen Volkshochschule. An diesem zweiten oder dritten Tag des Sechstagekrieges versuchten junge Gemeindemitglieder, sich in Freiwilligenlisten für die Teilnahme an der Verteidigung Israels eintragen zu lassen. Die Solidarität mit dem jüdischen Staat zieht sich durch die Geschichte der Gemeinde und durch die Ausstellung.

Der Schau gelingt ein sowohl buntes wie nachdenkliches Bild des Hauses, in dem sich die Geschichte dieser ziemlich kleinen Berliner Religionsgemeinschaft mit derzeit gerade mal 11.000 Mitgliedern spiegelt. Manchmal ist es, als erlaubten die Bilder einen kurzen Blick ins Wohnzimmer der Juden Berlins. Dabei erzählen die Fotos besonders denjenigen viel, die sie zu deuten wissen und die Gemeinde ein wenig kennen. Doch auch für alle anderen ist die Schau lehrreich und anregend. Man erfährt viel über das neue jüdische Leben in Deutschland.

■ „50 Jahre Jüdisches Gemeindehaus“. Fasanenstraße 79/80, Charlottenburg. Mo.–Do., 10–20, Fr. 10–14, So. 10–18 Uhr. An jüdischen Feiertagen geschlossen. Eintritt frei