OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

In den 40er- und 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kämpfte der amerikanische Sexualforscher Alfred C. Kinsey mit seinen statistischen Erhebungen gegen die Unwissenheit in Sachen Sex, indem er den biologischen Vorgang letztlich von allen Moralvorstellungen abkoppelte. Zweifellos ein Verdienst – aber hat es wirklich etwas gebracht? Schaut man sich die Prüderie der heutigen amerikanischen Gesellschaft an, so können einen doch leichte Zweifel beschleichen. Bill Condons Biopic „Kinsey“ erklärt das Sex-Interesse des Biologen zunächst aus seiner Biografie heraus. Denn Kinsey (Liam Neeson) stammt aus einem konservativen Elternhaus und hat von Sex selbst keine Ahnung: Stocksteif nähert er sich seiner Frau Clara (Laura Linney) an, verkrampft und vergeblich mühen sich die beiden in der Hochzeitsnacht miteinander ab, ehe sie schließlich selbst Rat bei einem Arzt suchen müssen. Die Unwissenheit weicht der Freude an der eigenen Sexualität und führt zum Kampf für die Aufklärung – doch dass die forcierte Libertinage des Forschers und seiner Mitarbeiter auch Probleme im emotionalen Bereich privater Beziehungen mit sich bringen kann, verschweigt der Film nicht: Sex ist nun einmal komplex. (24. 9. Moviemento)

Einen Film über Witwen hat Agnès Varda auch schon einmal gedreht. Schließlich ist sie selbst eine, nämlich die des vor fast 20 Jahren verstorbenen französischen Filmemachers Jacques Demy. Seitdem hat Varda die Person und das Werk des verblichenen Gatten immer wieder zum Gegenstand von eigenen Filmen gemacht. Noch in Zusammenarbeit mit dem schon kranken Demy entstand 1991 der Spielfilm „Jacquot de Nantes“, der die Kindheits- und Jugenderinnerungen ihres Mannes nachvollzog: das Leben mit den stets froh gestimmten Eltern, die Liebe des Kindes zu Marionetten, schließlich die Entdeckung des Kinos.

An dieser Stelle knüpft die Dokumentation „L’univers de Jacques Demy“ (1995) an, in der Varda die Schauspieler und technischen Mitarbeiter aus den Filmen Demys von der Arbeit mit dem stets sanften, aber unnachgiebigen Regisseur erzählen lässt. Kaum verwunderlich, dass auch hier wieder die Inspiration seiner Filmstoffe durch Kindheitserlebnisse zur Sprache kommt, doch wer hätte beispielsweise geahnt, dass Demy, der große Musical- und Märchenregisseur, ein treuer Fan des strengen Filmasketen Robert Bresson war? Eine zweite Doku, „Les demoiselles ont eu 25 ans“ (1993), handelt von Demys vielleicht bekanntestem Film „Les demoiselles de Rochefort“ (1967) und verbindet Aufnahmen, die Varda seinerzeit bei den Dreharbeiten für das aufwändig vor Ort gedrehte Musical gemacht hatte, mit den Erinnerungen von Catherine Deneuve und anderen Mitwirkenden, die sich noch einmal an die Schauplätze zurückbegeben. Sehr charmant, genau wie Demys Film, den das Arsenal dazu im Programm hat: eine farbenfrohe Hommage ans amerikanische Musical. („L’univers de Jacques Demy“ 24. 9.; „Jacquot de Nantes“ 25. 9.; „Les demoiselles de Rochefort“ 27. 9.; „Les demoiselles ont eu 25 ans“ 27. 9., alle OmEU, Arsenal) LARS PENNING