Absurde Scheindebatten

Über grüne Bildungspolitik und die Lehren aus Pisa, die neue Bedeutung von „Atomkraft – Nein, danke“-Stickern und die Perspektivlosigkeit der Linkspartei: Krista Sager, GAL-Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl, im taz-Gespräch

Interview: Sven-Michael Veit

taz: Frau Sager, bestärken die vorige Woche veröffentlichten schlechten Pisa-Ergebnisse die Grünen darin, mit dem Schwerpunkt Bildung in den Bundestagswahlkampf zu ziehen?

Krista Sager: Wichtige Ergebnisse werden zwar erst im November vorliegen. Man kann aber jetzt schon sehen, dass wir mit unserer Grundsatzkritik am deutschen Bildungssystem richtig liegen. Deutschland ist das Land, in dem soziale Herkunft den Bildungserfolg am stärksten bestimmt. Es kann nicht akzeptiert werden, dass wir weiterhin sehr vielen jungen Menschen nicht die Chance geben, aus ihren Fähigkeiten das Beste zu machen.

Wie wollen Sie das ändern?

Verstärkt werden muss die individuelle Förderung der SchülerInnen, schon in der frühen Kindheit. Es muss mehr Zeit zum Lernen geben in Ganztagsschulen. Und es müssen die Chancen von SchülerInnen aus bildungsfernen Familien und mit Migrationshintergrund maßgeblich verbessert werden. Wir Grüne in Hamburg haben ja das Modell „9machtklug“ einer Schule für alle entwickelt ...

... das von der Bundespartei übernommen wurde ...

Ja, weil es einfach gut und überzeugend ist. Gerechte Teilhabe an Bildung ist die zentrale Zukunftsfrage bei der Gestaltung der Wissensgesellschaft, und eine Schule für alle, die Kinder nicht früh aussortiert und damit ihrer Chancen beraubt, ist der richtige Weg auch zu mehr Gerechtigkeit.

Die CDU will nach einem Wahlsieg verstärkt auf Atomkraft setzen und die Förderung regenerativer Energien wie Wind oder Sonne zumindest einschränken. Haben Sie, Frau Sager, ihre alten „Atomkraft – Nein, Danke“-Sticker schon wieder hervorgekramt?

Ja, einen habe ich noch gefunden, die werden jetzt wieder gebraucht. Denn eine solche Entscheidung wäre verhängnisvoll. Die regenerativen Energien haben in Deutschland 150.000 Arbeitsplätze geschaffen, und es werden noch sehr viele weitere entstehen. Nur dann eben nicht mehr hier, sondern woanders.

Wegen der steigenden Ölpreise und weil Ressourcen knapp werden, setzen auch andere Länder zunehmend auf diese Zukunftstechnologie. Die Rolle rückwärts, welche die CDU androht, wäre ökonomisch und ökologisch katastrophal.

Wegen der Schließung des Hamburger Aluminium-Werks (HAW) werden in dieser Stadt aber die Energiepolitik und die Ökosteuer der rot-grünen Bundesregierung als Arbeitsplatzvernichter dargestellt...

Das ist natürlich Unsinn. Gerade Großverbraucher wie die HAW sind von der Ökosteuer oder der Abgabe nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz entweder freigestellt oder nur minimal belastet. Hier soll eine Auseinandersetzung zwischen großen Konzernen – den HAW-Eigentümern und Vattenfall/HEW – abgewälzt werden auf eine ihnen missliebige Politik. Richtig ist aber, dass Vattenfall vollkommen undurchsichtige und überhöhte Preiskalkulationen hat, vor allem bei den Netzentgelten.

Ein Kampf also zwischen Großkapitalisten zu Lasten von Arbeitsplätzen und nachhaltiger Energiepolitik?

Kann man so sehen. Wir Grüne haben schon lange eine Wettbewerbskontrolle des Strommarktes gefordert, weil der Wettbewerb durch die vier großen Stromkonzerne in Deutschland faktisch zum Erliegen gekommen ist. Wir wollen da gegensteuern mit dem Energiewirtschaftsgesetz, um die Preiskalkulationen der Stromkonzerne einer Kontrolle zu unterwerfen. Dann werden die Preise auch wieder sinken.

Die Fördergelder für regenerative Energien sind Schuld, sagen aber Hamburgs CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall, die Handelskammer, der Industrieverband ...

Das sind Märchen. Noch mal: Die Abgaben auf erneuerbare Energien haben wegen der Härtefallklausel für Großabnehmer mit der Höhe des Strompreises für die HAW nichts zu tun. Andererseits ist die Atomkraft nicht nur unter Sicherheitsaspekten unverantwortbar. Sie wird auch schöngerechnet. Die Kosten für die Jahrtausende lange Lagerung von Atommüll gehen in die Kalkulationen gar nicht ein.

Und wer Laufzeiten von Atomreaktoren verlängern will wie die CDU, schafft noch mehr Atommüll, ohne zu wissen, wo der sicher gelagert werden und wie das bezahlt werden soll. Ich denke, hier wird eine Scheindebatte geführt mit absurden Schuldzuweisungen.

Sitzen die Grünen künftig zwischen der SPD und der neuen Linkspartei und damit unbequem zwischen allen Stühlen?

Nein, wir sind nicht in irgendwelchen Lücken zu verorten. Wir Grüne sind eine sehr eigenständige Kraft im Parteienspektrum, die zentrale Gerechtigkeitsfragen mit ökologischer Modernisierung verbindet. Die neue Linkspartei zeichnet sich durch Verleugnung der Realität aus und macht auch noch Anleihen beim Rechtspopulismus ...

Die Partei entsteht nicht zuletzt aus Enttäuschung über rot-grüne Regierungspolitik, speziell im Arbeits- und Sozialbereich. Die Verlierer dessen, was Sie Modernisierung nennen ...

Wir haben die Antworten auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen wie die veränderte Altersstruktur. Die Linkspartei ist perspektivlos und hat auf lange Sicht außer Protesthaltung nichts zu bieten.

Sie wollen diese neue Kraft einfach so übergehen?

Nein, darum geht es gar nicht. Wir Grüne wollten bei der Hartz-IV-Reform Veränderungen und wollen noch weitere. Das haben wir auch in unser Wahlprogramm geschrieben. Wir sagen aber auch, wo diese Reformen richtig und notwendig waren. Da bin ich gerne bereit, in diesem Wahlkampf darüber zu diskutieren.

Dazu werden Sie vermutlich reichlich Gelegenheit haben in den nächsten zwei Monaten. Zum Schluss die unvermeidliche Frage an Sie als grüne Spitzenkandidatin in Hamburg: Wie wird das Ergebnis sein?

Wir wollen unser Wählerpotenzial voll ausschöpfen und wieder mit zwei Mandaten in den Bundestag wie jetzt auch.

Also mindestens 14 Prozent?

Ich will mich auf Prozente nicht festlegen, aber für zwei Mandate soll es schon reichen.