Die WM der Videokameras

Roboter checken die Stadien, Kameras gleichen Gesichter mit Computerdateien ab. Innenminister Otto Schily (SPD) verstärkt zur Fußball-WM 2006 massiv die Defensivtechnik der Sicherheitsbehörden

VON FELIX LEE

Stellen Sie sich vor: Sie schlagen sich durch die Wildnis der schottischen Highlands. Seit Tagen haben Sie keine Menschenseele gesehen. Und dann stehen Sie auf einmal vor einem Schild mit der Aufschrift: CCTV – Closed Circuit Television. Es handelt sich dabei um computergesteuerte Videoüberwachungskameras – in Großbritannien längst das Synonym für Kontrolle, Sicherheitswahn und Dauerüberwachung.

Zoomende Linsen im Wald – so weit ist Berlin noch nicht. Aber die Stadt ist auf dem besten Wege dahin. Nach mehrmonatiger Arbeit hat das Bundesinnenministerium das Sicherheitskonzept zur Fußball-WM 2006 erarbeitet. Und was gegen Hooligans, Kriminalität, vor allem aber gegen Terroranschläge an sicherheitstechnischen Maßnahmen bis dahin auf die Beine gestellt werden soll, übertrifft die kühnsten Erwartungen: tausende Überwachungskameras; zusätzliche Spezialkameras, die biometrische Gesichtsmerkmale von Personen erfassen und anschließend mit bereits erfassten Daten vergleichen können.

Ebenfalls ins WM-Aufgebot hat es ein auf Ketten fahrender Sicherheitsroboter geschafft, der wie ein Minipanzer in den Stadien durch besonders belebte Gänge düst, um atomare, biologische oder chemische Gefahren aufzuspüren. Ohne Pause soll das Gerät der Firma „Robowatch Technologies GmbH“ zwölf Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von bis zu fünf Kilometer in der Stunde die Gegend abchecken, von so genannten Thermokameras aufgenommene Bilder an die Zentrale übermitteln und gegebenenfalls Alarm auslösen.

Über Elektrochips in den Tickets können Kartenbesitzer selbst mit einigem Meter Abstand per Funk identifiziert werden. Zudem sollen die Sicherheitskräfte mit dem neu entwickelten mobilen Fingerabdrucksystem „Fast Identification“ ausgestattet werden. Dieses System kann Verdächtige mit den Daten bereits erfasster Straftäter abgleichen. Und das alles betrifft nur die technische Seite.

In einem speziell nur für die Fußball-WM eingerichteten „Nationalen Informations- und Kooperationszentrum“ will zudem ein Heer aus Antiterrorexperten des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamts sämtliche Informationen über mögliche Gefährdungen sammeln und auswerten. Täglich wollen sie ein Lagebild über mögliche Hooliganrandale oder Terroranschläge erstellen. Rund 300 ausländische Zivilbeamte sollen den deutschen Sicherheitskräften bei der Identifizierung von Hooligans unterstützen. Der Kontrollstab behält sich die Option vor, nicht nur ein Alkoholverbot in den Stadien zu verhängen, sondern auch spontan den Luftraum absperren zu können.

Dabei ist nicht einmal klar, wie groß das Potenzial an Krawallmachern überhaupt sein wird. Bei bei nationalen Fußball-Veranstaltungen kennen die lokalen Sicherheitskräfte ihre Pappenheimer in der Regel ganz gut. Bei der WM aber tappen die Behörden im Dunkeln. In der 1994 eingerichteten Datei „Gewalttäter Sport“ sind etwa 6.200 Hooligans in Deutschland gespeichert. Für rund 2.700 gilt ein Stadionverbot. Die Gesamtzahl deutscher „Problemfans“ wird auf knapp 10.000 geschätzt – hinzu kommen Gäste aus dem Ausland. Schily hat bereits angekündigt, notfalls das Schengener Abkommen außer Kraft zu setzen. Nur: Wer von den insgesamt etwa eine Million Fußballfans aus dem Ausland als gewalttätig eingestuft und an den EU-Binnengrenzen abgewiesen werden kann – das wissen die Sicherheitsbehörden nicht.

Nur weniges deutet daraufhin, dass sich das Gewaltpotenzial bis nächstes Jahr präzisiert hat. Denn so kompatibel die Daten der englischen CCTV-Kameras mit den deutschen Pendants sein mögen, es nützt alles nicht. Denn bei der transnationalen Zusammenarbeit sind die Sicherheitsbehörden im menschlichen Bereich bisher alles andere als kompatibel. Da mag die Technik noch so ausgefeilt sein.