Ein Hoch auf die Bequemlichkeit!

betr.: „Der letzte Bundesbürger“, taz vom 13. 7. 05

Heutzutage ist der Begriff des Populismus genauso verworren wie der des Terrorismus. Man kommt nicht umhin zu glauben, eine solche Qualifikation wird nur denen zugestanden, die eine oppositionelle Haltung einnehmen – als würden Terror und Demagogie nicht auch von Regierungen angewendet. Hinter der „antiliberalen“ Haltung, die den Sozialstaat als verteidigungswürdige Errungenschaft ansieht, stehen Menschen, die sich von der Linkspartei angesprochen fühlen, nachdem sich die ubiquitäre Doktrin als Fehlschlag erwiesen hat. Zu blöd, dass diese Linken vorderhand wirtschaftlich argumentieren und damit durchdringen, nachdem ein gutes Jahrzehnt lang die Ökonomie als Privateigentum der neoklassischen Theorie behandelt wurde.

Es ist kein Wunder, dass man sich ausgerechnet in diesem Land immer wieder fragt, was das für Leute sind, die es wagen, mit ihrem Votum das überkommene Parteiengefüge durcheinander zu bringen. Komisch, dass man ihnen dabei nur zu oft irgendwie anrüchige Motive unterstellt, zum Beispiel weil sie selbst meistens gar nicht arbeitslos sind; als verlöre man mit dem Besitz eines Arbeitsplatzes das Recht, links zu wählen.

Der Versuch von Robin Alexander, diese Leute als kauzige, geradezu Mitleid erregende Nostalgiker darzustellen, kann da schon als harmlos angesehen werden – wenn dies nicht genauso arrogant und blind in der Sache wäre. Die potenziellen Wähler Lafontaines sind also „bequem“, weil sie Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang haben – und vor der Erodierung einer Gesellschaft, die mehr und mehr von Korruption, Konkurrenzdruck und Egoismus gezeichnet wird. Wenn es ein Akt der Bequemlichkeit sein soll, in einem Land leben zu wollen, das keine Kriege führt, dann ein Hoch auf die Bequemlichkeit!

Mögen diejenigen, die heutzutage mit der Linkspartei liebäugeln, zwar nicht das exotische Flair der Grünalternativen der 1980er-Jahre besitzen, so sind doch ihre Meinungen und Ängste nicht minder gewichtig. MALTE NEUMANN, Köln

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