„Wir brauchen eine Jahrhundertantwort“

KRISENMANAGEMENT Globale Finanzmärkte bedürfen einer unabhängigen, globalen Regulierung, meint der Politologe Henrik Enderlein

■ Der 35-Jährige ist Professor für Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin und Träger der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die internationalen Finanzbeziehungen.

taz: Herr Enderlein, vor dem G-20-Finanzgipfel in Pittsburgh zeichnet sich nur ein Minimalkonsens ab. Woran liegt das?

Henrik Enderlein: Die G 20 können an der Aufgabe, eine globale Wirtschaftsregierung anzustoßen, nur scheitern. In der Gruppe treffen zu viele konkurrierende Einzelinteressen aufeinander. Zudem sind die zugrunde liegenden Prozesse zu komplex, um sie innerhalb einer Gruppe mit wechselnden Präsidentschaften und Prioritäten grundlegend anzugehen. Einen wirklichen Willen, auf globaler Ebene irgendetwas zu erreichen, hat es im Lauf dieses Jahres nicht gegeben.

Es sind doch eine Reihe von Maßnahmen im Gespräch.

Diese Jahrhundertkrise verlangt nach einer Jahrhundertantwort. Aber die G 20 sind sie bisher schuldig geblieben. Es wurde immer nur an kleinen Stellschrauben wie den Bankerboni gedreht. Die Boni sind aber eigentlich nur ein medienwirksamer Nebenschauplatz dieser Krise.

Folgt dem Marktversagen nun also das Politikversagen?

Regierungen allein sind mit der Krisenbewältigung überfordert. Die Nationalstaaten merken, dass sie die Globalisierung, die sie selbst geschaffen haben, nicht mehr kontrollieren können. Wenn Globalisierung nicht das Opfer des eigenen Erfolgs werden soll, dann brauchen wir neue Formen der politischen Steuerung, in deren Mittelpunkt ein globales Denken jenseits nationaler Egoismen steht.

Wie wollen Sie die überwinden?

Indem wir die richtigen Institutionen schaffen. Was uns auf internationaler Ebene fehlt, ist eine unabhängige Instanz, die das Kollektivgut „Weltwirtschaftsstabilität“ einfordert. Ein Kollektivgut braucht immer einen unabhängigen Akteur, der sich über die Partikularinteressen der Nationalstaaten hinwegsetzt und Dinge einfordern kann. Die Welthandelsbeziehungen werden in der Welthandelsorganisation geregelt. Im Bereich der internationalen Sicherheit gibt es den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Nur in den Weltfinanzbeziehungen existiert eine solche Instanz nicht. Ein Anfang wäre es, im Rahmen der G 8 ein unabhängiges Sekretariat für internationale Währungs- und Finanzfragen einzurichten.

Könnte der IWF diese Rolle übernehmen?

Der Internationale Währungsfonds hat in den letzten 30 Jahren vollkommen versagt, wenn es um die Warnung vor Krisen ging. Der IWF ist eine Aufaddierung von nationalen Interessen und nichts anderes. Deshalb glaube ich auch nicht, dass man den IWF im Anschluss an diese Krise stärken sollte. Denn wenn er in der Vergangenheit nichts geleistet hat, dann wird er das auch in Zukunft nicht tun.

Könnte eine Steuer auf Finanztransaktionen helfen?

Im Prinzip ist es eine gute Idee, diejenigen, die diese Krise verursacht haben, an den Kosten zu beteiligen. Allerdings ist die Umsetzung dieser Idee kaum möglich. Sie kann nur funktionieren, wenn sich alle 192 Länder dieser Welt daran beteiligen. So eine Transaktionssteuer würde aber nicht helfen, weitere Finanzkrisen zu verhindern. Es gibt nämlich keine Hinweise darauf, dass so eine Transaktionssteuer die Finanzmärkte stabiler oder weniger volatil macht.

Wie ließe sich sonst spekulativen Exzessen entgegenwirken?

Man könnte auf konkrete spekulative Situationen reagieren: Wenn etwa eine Währung angegriffen wird, sollte sie vom Handel ausgesetzt werden, so wie das mit Aktien von Unternehmen geschieht, von denen es schlechte Nachrichten gibt. Das geht aber nur, wenn man eine klare Börsenaufsicht auf globaler Ebene hat. INTERVIEW: TARIK AHMIA, FELIX LEE