Köhlers Drehbuch ist geschrieben

Zwischen Mittwoch und Freitag dieser Woche muss der Bundespräsident entscheiden, ob er das Parlament auflöst. Allgemein wird eine positive Entscheidung Köhlers erwartet. Für den Fall eines Neins droht Kanzler Gerhard Schröder mit Verbleib im Amt

AUS BERLIN RALPH BOLLMANN

Sicher ist sicher, hat sich Franz Müntefering wohl gedacht. Deshalb sprach der SPD-Vorsitzende am Wochenende eine unverblümte Drohung aus. Mit einem knappen „Nein“ beantwortete er die Frage, ob der Bundeskanzler denn von sich aus zurücktreten werde, falls Bundespräsident Horst Köhler (CDU) den 15. Deutschen Bundestag in dieser Woche nicht auflöse. Die Antwort, ob diese Haltung mit Gerhard Schröder abgesprochen sei, fiel sogar noch um zwei Buchstaben kürzer aus: „Ja.“

Der Nachhilfe aus der SPD-Parteizentrale hätte Köhler wohl gar nicht mehr bedurft. Intern habe der Präsident bereits durchblicken lassen, dass er der Parlamentsauflösung zustimmen werde, meldete der Spiegel bereits am Wochenende. Ohnehin bleibt ihm kaum eine Alternative. Die Vorstellung, dass Schröder einfach im Amt bleibt, erscheint ebenso irreal wie das Szenario eines Kanzler-Rücktritts. In diesem Fall müsste das Parlament dreimal vergeblich versuchen, einen Nachfolger zu wählen – nur, um den Ball ein zweites Mal in Köhlers Feld zu spielen.

Das Drehbuch für den Ablauf dieser Woche schreibt ohnehin das Grundgesetz. Um eine Neuwahl wie gewünscht am 18. September zu ermöglich, kann Köhler seine Entscheidung frühestens am Mittwoch verkünden. Denn laut Verfassung dürfen zwischen Parlamentsauflösung und anschließender Neuwahl höchstens 60 Tage liegen. Spätester Termin für Köhlers Auftritt ist dann schon der Freitag. Drei Wochen beträgt die Bedenkzeit, die sie dem Staatsoberhaupt nach einer verlorenen Vertrauensabstimmung einräumt.

Das Vorbild für Köhlers Vorgehen liefert das Verhalten seines Vorgängers Carl Carstens, der Anfang 1983 ebenfalls nach dreiwöchigem Schweigen der umstrittenen Parlamentsauflösung zustimmte. In einer Fernsehansprache dokumentierte er seine Gewissensnöte vor aller Öffentlichkeit.

Erst nachdem Köhlers Ansprache über den Äther ging, können dann die beiden Abgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) ihre Verfassungsklagen gegen die vorzeitige Parlamentsauflösung einreichen. Auch hier gibt es ein Déjà-vu: Der Mannheimer Jura-Professor Wolf-Rüdiger Schenke, der schon 1983 im Namen einiger FDP-Abgeordneter nach Karlsruhe zog, wird diesmal den Grünen Schulz vertreten.

Die Karlsruher Entscheidung wollte Parlamentspräsident Wolfgang Thierse (SPD) am Wochenende nicht vorwegnehmen. Pflichtschuldig wies er darauf hin, dass es „ja auch ganz anders“ kommen könne und die Karlsruher Richter Neuwahlen womöglich gar nicht zuließen. Mit einer Ablehnung durch Köhler schien er schon gar nicht mehr zu rechnen. Ebenso wenig wie mit einem Wahlsieg der SPD am 18. September. Die Partei habe „als Erste mit den Reformen begonnen“, klagte Müntefering, nun könne „vielleicht eine andere Regierung die Früchte dieser Bemühungen ernten“. Das sei „fast schon tragisch“.

Nach einer Umfrage des Instituts Forsa befürworten 75 Prozent der Deutschen eine vorgezogene Wahl. Am höchsten ist die Zustimmung mit 88 Prozent bei den Anhängern des erwarteten Wahlsiegers CDU/CSU, am niedrigsten kurioserweise bei den potenziellen Wählern des zweiten großen Gewinners, der Linkspartei, mit nur 61 Prozent.