Lehrer fordern klare Regeln

Pädagogen und Wissenschaftler kritisieren den Alleingang von Landeschef Rüttgers. Er hatte die Rechtschreibreform für noch nicht verbindlich erklärt. „Eine absolute Zumutung für Kinder“

VON ISABEL FANNRICH

Zu Beginn des neuen Schuljahres am 22. August werden für die SchülerInnen und LehrerInnen in NRW viele Fragezeichen stehen. Denn nach dem jüngsten Beschluss von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, gemeinsam mit Bayern aus dem Kreis der übrigen Bundesländer auszuscheren und die verbindliche Einführung der Rechtschreibreform zu verschieben, herrscht Verunsicherung.

Noch im Juni hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, die unstrittigen Punkte der Rechtschreibreform ab dem 1. August bundesweit für verbindlich zu erklären. In der Schulpraxis könnten dann Fehler nach der neuen Schreibweise, die bislang nur angestrichen wurden, auch benotet werden. Die noch umstrittenen Punkte soll der von der KMK eingesetzte Rat der Rechtschreibung in den kommenden Monaten klären. Dabei geht es um die Getrennt- und Zusammenschreibung, um Silbentrennung und Interpunktion. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und Rüttgers hatten argumentiert, dass es wenig Sinn mache, eine noch unvollendete Reform verbindlich fest zu legen.

Von einem „etwas abenteuerlichen Schulterschluss zwischen NRW und Bayern“ sprach gestern der NRW-Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW), Michael Schulte, gegenüber der taz. „Wir haben kein Verständnis dafür, weil die Lehrer weiter im Unklaren gelassen werden, wie es mit der Reform weiter geht“, sagte er. „Man hat schon mehrfach gedacht: Das ist es jetzt.“ Die Infragestellung der Reform sei nichts Neues: Schon als im vergangenen Jahr der Rat für Rechtschreibung ins Leben gerufen wurde, so Schulte, sei damit das bereits geschnürte Reformpaket wieder geöffnet und die Benutzung der neuen Schulbücher in Frage gestellt worden. Seit Jahren wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits nach neuen, an der Reform orientierten Schulbüchern unterrichtet. „De facto“ seien die Änderungen durch Rüttgers Entscheidung „nicht so groß“, bewertet der Gewerkschafter, „aber da mischt sich die Politik wieder ein, und man weiß nicht, wie es weiter geht.“

Dass die neue Landesregierung die Verbindlichkeit der neuen Rechtschreibung hinaus zögert, kritisiert auch Henning Günther, Professor an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln. „Es wäre konsequenter, mit dem neuen Schuljahr die neuen Regeln verbindlich einzuführen“, sagt der Schulpädagoge. „Aus Sicht der Schüler wäre es besser, es gäbe Regeln, an die man sich hält.“ Das bislang geltende Nebeneinander von alter und neuer Schreibweise stifte nur Verwirrung. Allerdings hält der Professor die Reform für „halbherzig“. „Sie war nicht radikal genug und hat unnötige Schwierigkeiten durch Sonderregelungen aufgebaut“, kritisiert er. Um Deutsch als „Weltsprache“ zu erhalten, sei es nötig, die Schreib- der Sprechweise anzugleichen und „so weit zu vereinfachen, dass wir weniger Fehler machen“.

Von einer „halben Rolle rückwärts“ spricht Josef Bünger, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft Kölner Grundschulen. Abgesehen von den hohen Kosten für neue Schulbücher sei die „Reform der Reform“ vor allem für die Kinder eine „absolute Zumutung“. Gerade hätten sie sich an die neue Rechtschreibung gewöhnt, schon müssten sie wieder die neusten Änderungen pauken. Besonders betroffen seien jene, die auf der Grundschule noch die alte Schreibweise gelernt und sich dann hätten umstellen müssen. „Es gibt Kinder mit erheblichen Defiziten“, betont Bünger. „Die Auswüchse in der Praxis sind, dass jeder so schreibt, wie er will.“