Post vom Polizeistaat

Pinkeln mit Begleitung: Göttinger Student wurde zwei Wochen lang observiert – weil er gegen Castoren demonstriert hatte. Und weil er ein Plakat für die Anti-Atomkraft-Party gestaltet haben soll

Überwachung beim leisesten Verdacht – das Polizeigesetz macht’s möglich

von Reimar Paul

Wenn die Castortransporte in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague gestartet und auf dem Weg ins Wendland sind, dann richten Atomkraftgegner und Polizeistrategen ihren Blick auch auf das „Nadelöhr Göttingen“. Schon mehrfach gelang es Umweltschützern hier, trotz Verbotes an den Schienen zu demonstrieren und den Atomzug zum Kurz-Stopp zu zwingen.

Einmal rauschte der Zug bei Göttingen sogar durch eine veritable Barrikade aus Regenschirmen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, das Göttinger Amtsgericht stellte das Verfahren jedoch ein. Erledigt war die Sache damit aber nicht: Den Staats- und Castorschützern blieb die listige Göttinger Anti-AKW-Szene ein Dorn im Auge. Das musste jetzt auch der Physik-Student Daniel H. erfahren. Der 25-Jährige bekam kürzlich Post von der Göttinger Polizei. Die teilte ihm mit, er sei im Herbst 2004, in der Zeit vor der letzten Castorfuhre nach Gorleben, zwei Wochen lang rund um die Uhr beschattet und sein Telefon abgehört worden.

Sein Anwalt Johannes Hentschel beantragte Akteneinsicht: Die macht jetzt das ganze Ausmaß der polizeilichen Schnüffelei bekannt. „Vor meiner Haustür standen Tag und Nacht Beamte“, erzählt H., „die Polizisten folgten mir bis auf die Uni-Toilette und beobachteten, ob ich mich dort mit jemandem traf.“ Er selbst habe von der Observation zunächst gar nichts mitbekommen. Abgehört wurden auch die Telefonate seiner Mitbewohner. Und am Auto eines Bekannten brachten Polizisten einen GPS-Peilsender an. „Offenbar reichte die Phantasie der Beamten so weit, dass sie annahmen, ich wollte das Fahrzeug auf die Schienen stellen, um den Zug anzuhalten.“

Dass sie ausgerechnet H. ins Visier nahmen, begründeten die staatlichen Castorschützer damit, dass der Student auch im eingestellten „Regenschirm-Prozess“ angeklagt war und Mitglied im Göttinger Anti-Atom-Plenum ist. Zugeschrieben wird ihm auch die Gestaltung eines Plakates, das zu einer Anti-Atom-Party lud.

Die Göttinger Polizeiführung, die Attacken gegen den damals bevor stehenden Castortransport befürchtete, veranlasste den Akten zufolge selbst die Observierung. Lediglich das Mithören der Telefonate musste man sich von einem örtlichen Amtsrichter genehmigen lassen.

Rechtliche Grundlage für die Selbstermächtigung der Polizei ist der umstrittene Paragraf 33a des kürzlich verschärften niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung – kurz: Polizeigesetz. Dieser gestattet eine so weit reichende Bespitzelung, wenn „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ drohen.

„Es ist aber völlig absurd anzunehmen, dass von der Anti-Atom-Bewegung eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen ausgeht“, weist Martin M. vom Göttinger Anti-Atom-Plenum entsprechende Verdächtigungen zurück. „Menschen gefährdende Gewalt haben wir immer ausgeschlossen.“

Nach Ansicht von Rechtsanwalt Hentschel sind die Ermittler im Göttinger Fall weit über das selbst gesteckte Ziel hinaus geschossen. Sie hätten in Wirklichkeit gar keine Hinweise auf geplante schwere Straftaten gehabt, und die zweiwöchige Observierung habe ebenfalls keine neuen Anhaltspunkte dafür ergeben.

Die Wurzel des Übels ist aus Sicht des Juristen Hentschel die vage formulierte Regelung im Polizeigesetz, die auch bei leisestem Verdacht zukünftiger Handlungen des Betroffenen die gesamten Überwachungsmaßnahmen zulässt. „Es geht hier nicht um Straftaten und Strafverfolgung, sondern um eine Vorfeld-Ermittlung“, betont Hentschel.

Eine Klage gegen den Paragrafen 33a ist derzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Um die Rechtmäßigkeit des Telefonabhörens überprüfen zu lassen, hat der Anwalt Beschwerde beim Göttinger Landgericht eingelegt.