ausgehen und rumstehen
: Knödelnde Isländer sehnen sich nach menschenvollen Räumen

Seit ein paar Tagen die Gewissheit, dass ich die Stadt für ein Jahr verlassen werde. Ich bin außer mir, ich vergesse zu essen, ich misse jetzt schon, was gerade noch da ist. Ich bummle durch die Straßen, nur um möglichst alles zu sehen, was ich noch nicht gesehen habe. Es ist trotzdem immer dasselbe, über das ich mich wundere und erschrecke. An jedem Ampelmülleimer verschlissene Menschen, die auf der Suche nach Pfandflaschen sind. Außerdem staksen robuste Mädchen auf plumpen Buffalos umher – und Mädchen in Turnschuhen und mit Nietengürteln, die ernsthaft die Nasen rümpfen über Lebensweisen wie diese.

Über die Oberbaumbrücke rüber: Durch die großen Fensterscheiben des San Remo winkt mir eine Freundin zu. Das ist gut, denke ich erleichtert, Menschen vorfinden und sich von ihnen etwas erzählen lassen. Noch ein Freund sitzt da, in unglaublich schmalen Hosen, welche die Knöchel freigeben. „Doch. Du musst trinken. Sonst ist alles so langweilig“, beharrt die Freundin. Da hat sie recht, ich ziehe sofort kräftig am Strohhalm des alkoholischen Brausegetränks. Alkohol schmeckt eigentlich gar nicht, fällt mir zum ersten Mal seit Jahren wieder auf. Ich wunder mich, doch das macht nichts, ich fühle diesen schlechten Geschmack trotzdem gerne auf meiner Zunge.

Später tauchen noch mehr Freunde auf, aus Wien. Ich höre ihnen in tiefster Bewunderung zu, beide sprechen derart bedacht und in auserlesen Worten. Ich kann mich nicht satt hören an ihnen.

Draußen ist die Luft dumpf, das macht mich taumlig. Vielleicht sind es auch nur die Getränke in mir. Eine gewisse Berauschtheit ist nicht zu leugnen. Eine Seltsamkeit reiht sich an die andere in dieser Nacht. Ich kann Traurigkeit spüren, obwohl doch um mich herum keine zu finden ist. Auf der Straße schreien sich Leute hysterisch an. Fensterscheiben werden eingeschmissen.

Die große Liebe macht mit einem Freund Schluss, berichtet es aus dem Telefon. Ein wenig später sehe ich den Freund auf dem Fußweg, den Kopf in Richtung Boden geknickt. Seine Augen sind glasig.

Ich komme in der Danziger Straße an, in der Küche eine Handvoll Isländer. Sie trinken ordentlich, ich mag sie sehr dafür. Alkoholisiert knödeln sie immer schneller auf Isländisch und behaupten dann wieder auf Deutsch, dass sie sich nach menschenvollen Räumen sehnen. Im Wohnzimmer noch mehr Isländer, diese in gedämpfter Gemütslage, ich komme nicht dahinter, was hier nicht stimmt.

Plötzlich sinkt der Lieblingsisländer in sich zusammen, sackt weg und mir wird angst und bange. Aufbruch Diplomausstellung der Kunsthochschule Weißensee. Das Licht in den Räumen zu grell und aggressiv für mein fahles Gesicht. Über die Band kann ich mich nicht einmal mehr aufregen. Sie meinen es sicherlich gut.

Der Lieblingsisländer, auf rätselhafte Weise wieder bei Bewusstsein, aber noch immer betrunken, redet auf Isländisch auf mich ein. Ich übe ein wenig Rülpsen und schlafe dann ein.

Als der Sonntagshimmel schon dunkel wird, gießt mir jemand Wodka ein und erzählt. Von einem dicken Jungen, der letzte Nacht wie besessen auf einen Porsche spuckte und pinkelte. Ich erzähle von den Polizisten in Island, die ihre Opfer angeblich mit Telefonbüchern verprügeln. Und von Isländern, die in Gewächshäusern ihre eigenen Bananen züchten. Wir denken an Jungs, die uns den Atem rauben. Früher hätten wir mit ihnen allen küssen wollen. Aber das ist heute nur noch so ein Gedanke.

JANE FRÄNZEL