Amerikas führender Collagist

FLUXUS Die New York Times schrieb über Ray Johnson, er sei der berühmteste unbekannte Künstler der Stadt. In der Weserburg ist jetzt eine Auswahl seiner Arbeiten zu sehen

Ray Johnson war der erste Künstler, der das Prinzip des Versendens selbst zum künstlerischen Programm erhoben hatte

VON RADEK KROLCZYK

„Mail a Nail“, ist auf dem kleinen Stückchen Holz zu lesen. Adressiert ist es an Alison Knowles, „the best Fluxus Artist ever“. Datiert ist das Poststück auf 1989, da war Fluxus längst passé. Ob es tatsächlich verschickt wurde, ist nicht überliefert. Dass Ray Johnson (1927–1995) solche Objekte seinen Künstlerfreunden postalisch zukommen ließ, hingegen schon. Persönliche absurde Gesten wie diese waren Teil seiner künstlerischen Praxis.

Zahlreiche Poststücke, Collagen und abstrakte Arbeiten des anarchischen New Yorker Künstlers sind zurzeit unter dem Titel „I like funny Stories“ in der Weserburg zu sehen. Die ausgestellten Arbeiten stammen aus der Bremer Sammlung Schnepel, die sich auf Fluxus spezialisiert hat. Und diese Schau ist nötig, denn obwohl Fluxus in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert, fallen doch immer nur immer wieder dieselben Namen: Nam June Paik, John Cage und George Maciunas. Von Ray Johnson wird niemand sprechen, er gehörte eben nicht zum Inner Circle. Johnson bereitete jedoch schon früh einiges von dem vor, was für Fluxus später bestimmend werden sollte – und das auf gleich mehreren Feldern: Collage, Künstlerbuch und Mail Art.

Ende der 40er Jahre fängt er am Blackmountain College in North Carolina ein Kunststudium bei dem Maler Josef Albers an und beginnt, wie dieser, zunächst abstrakt zu malen. Er beschäftigt sich zunächst mit Farbuntersuchungen, ganz im Geist der europäischen Vorkriegsmoderne. Während seiner Zeit am College lernt er nahezu alle wichtigen Künstler der amerikanischen Avantgarde der 50er, 60er Jahre kennen: Robert Rauschenberg, Morton Feldman und John Cage.

Die Abkehr von der abstrakten Malerei vollzog Johnson Mitte der 50er Jahre auf recht brachiale Weise: Der Legende nach soll er eines Abends sein gesamtes Frühwerk in Cy Twomblies Kamin vernichtet haben. Johnson begann, sich von da an mit Collagen zu beschäftigen.

Der Fluxus-Künstler Dick Higgins nannte Johnson „America’s leading Collagist“. Seine Collagen, die er Moticos nennt – ein Anagramm des Wortes Osmotics –, fertigte er kunstvoll in kleinteiliger Schnippel- und Klebearbeit aus Verpackungsmaterial und Illustrierten. Eine postkartengroße Arbeit von 1960 zeigt das Porträt des Schriftstellers Samuel Beckett. Augen und Mund sind kreisrund ausgeschnitten, anstelle des Mundes sieht man einen nackten Frauenhintern.

Johnson gilt als Begründer der Mail Art, einer künstlerischen Praxis, die auf dem Versenden von künstlerisch gefertigten Objekten basiert. Zwar wurde Kunst in Form von gemalten Postkarten, aufwendig gestalteten Umschlägen und Ähnlichem vorher bereits per Post verschickt. Johnson jedoch war der erste, der das Prinzip des Versendens selbst zum künstlerischen Programm erhoben hatte. Mehr als 200 Personen umfasste sein Netzwerk, in das er Poststücke, wie den eingangs erwähnten Holzklotz, einspeiste.

Häufig waren seine Sendungen mit der Aufforderung versehen, sie modifizieren und weiterzuschicken. In Anspielung auf den Farbfeldmaler Barnett Newman schrieb er an seinen Künstlerfreund Dick Higgins: „I’m writing to You today to say red yellow and blue.“

Teil der Bremer Ausstellung ist Johnsons Mail-Art-Buch „Paper Snake“, das erste Mail-Art-Buch überhaupt. Es enthält Collagen, die alle Teil eines postalischen Austauschs mit Dick Higgins waren. Higgins hatte 1964 einen Verlag für Künstlerpublikationen, den „Something Else Press“, ins Leben gerufen und Johnsons „Paper Snake“ dort publiziert.

■ bis 2. 9., Weserburg