brause on the beach von JOACHIM FRISCH
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Manchmal kann man von der Jugend noch etwas lernen. Neulich zeigten mir einige junge Menschen im Disco-Alter, wie man den billigsten Fusel ohne Ekel, Würgreiz oder medizinische Hilfsmittel in den Blutkreislauf befördert: Man nehme ein Tütchen der guten alten Ahoi-Brause, die mit dem Matrosen drauf, reiße den oberen Rand ab, wie man dies vom Backpulver kennt, drücke die Tüte mit Daumen und Mittelfinger an den Rändern so zusammen, dass eine annähernd runde Öffnung entsteht, in die man nun Wodka, Gin oder Grappa der grässlichsten Sorte gieße, damit die Ahoi-Brause sich mit dem Fusel zu einer bunten, süßen, spritzig perlenden Masse vereine, die man sodann in den Schlund gieße.

Diesen Vorgang wiederhole man solange, bis der Matrose auf dem Tütchen mit ungelenken Tanzbewegungen beginnt. An diesem Punkt sollte man ein nichtalkoholisches Getränk ordern und eine Gelegenheit zur horizontalen Körperhaltung suchen, zum Beispiel eine Strandliege. Als mein Matrose anfing zu tanzen, stand, o Wunder, eine Strandliege direkt neben mir, denn einige Tüten zuvor hatte eine junge Dame plötzlich mit aufgekratzter Stimme „Auf in den Beach-Club!“ geplärrt, und alle Umstehenden waren ihr widerstandslos gefolgt.

Ein wenig wunderte ich mich über den Strand in Hamburg-Eimsbüttel, denn das Meer ist knapp anderthalb Autostunden weg, die Elbe noch eine halbe Stunde zu Fuß. Mein innerer Soziologe sinnierte über Auswüchse der Globalisierung, die nicht mehr nur Kartoffeln, Schweinehälften, Reinigungspersonal und Schnittblumen um den Globus schickt, sondern ganze Landschaften, samt der darin befindlichen Menschen. Diese hier waren zweifellos Ibiza-Urlauber.

Zwar sind Ibiza-Urlauber mitunter gleichzeitig Hamburger, als Ibiza-Urlauber aber nehmen sie eine vollkommen andere Identität und Hautfarbe an. Man kann doch nicht einfach mir nichts, dir nichts aus einer Hamburger Wohnung treten, zweimal um die Ecke und plötzlich tief gebräunter, tätowierter Ibiza-Urlauber sein. Mindestens ein Charterflug und ein paar heiße Tage müssen da doch zwischen liegen. Ich verstand die Welt nicht mehr, nicht mal die Sprache der Menschen am Strand, obwohl mir die immer noch plärrende junge Dame versicherte, dies sei meine Muttersprache.

Dann kam das Meer doch noch, die Wellen schaukelten mein Boot, in dem ich plötzlich lag, ohne zu wissen, wie ich hineingekommen war, bis mir speiübel wurde und ich mich über die Planken beugte, um in die Wellen zu kotzen. Schon lief der Bademeister auf mich zu, in seinem Hamburger Leben ein gefürchteter Türsteher. Er musste die akute Gefahr für den teuren Importsand erkannt haben. Ich holte tief Luft, blies die Wangen auf, stoppte den Atem, schloss die Augen und betete um ein weiteres Wunder.

Statt der rohen Hand des Bademeisters am Arm spürte ich einen sanften Kuss auf der Stirn. Eine wunderschöne dänische Fee mit in tausend Farben schillernden Libellenflügeln reichte mir beide Hände. Wir schwebten leise surrend davon und landeten sanft auf vertrautem Hamburger Asphalt. Mein Einladung zu einer Tüte Ahoi-Brause mit Wodka schlug sie leider aus.