ENG IN DER S-BAHN
: Vanillepudding

Ich beobachte ihn so leicht schräg aus den Augenwinkeln

Man soll superdicke Leute nicht anstarren, auch nicht Leute im Rollstuhl oder Leute, bei denen man überlegt, ob sie eine Perücke tragen. Mache ich auch nicht. Aber als sich dieser unglaublich dicke, wirklich kolossale Mann in der S-Bahn neben mich setzt, wird es schon ziemlich eng. Das ist doch blöd jetzt. Weil neben mir auf der anderen Seite sitzt ja auch noch jemand. Soll ich aufstehen, oder ist das beleidigend für den dicken Mann?

Ich beobachte ihn so leicht schräg aus den Augenwinkeln. Er stellt zwischen seine Beine einen Baumwollbeutel von einem Bioladen und eine Plastiktüte von Edeka. Aus der Plastiktüte nimmt er einen Vanillepudding Marke „Gut und günstig“ und von irgendwoher auch einen Löffel. Dann stopft-schleudert-schmatzt er den Pudding in sich hinein, und es ist mir total unangenehm, daneben zu sitzen. Diese Geräusche. Er hat es sehr eilig mit dem Pudding.

Am Ende steckt er den Finger in den Becher und fährt noch mal am Rand entlang und leckt dann den Finger ab, um auch den letzten Rest rauszukriegen. Das macht er mehrmals. Logisch irgendwie, denn so ein kleiner Pudding ist ja für einen großen Mann total wenig. Ich finde es trotzdem eklig. Dann steckt er den leeren Becher zurück in seine Tüte und holt aus dem Bioladen-Beutel einen Weltempfänger raus und eine Batterie.

Oh, nee, denke ich, der will jetzt hier nicht Radio hören, oder? Doch. Er zieht die Antenne raus und dreht an den Knöpfen, stellt die Lautstärke auf mittellaut und sucht einen Sender. Es macht bzzzt und chrrrt, und dann kommt irgendeine sehr kirchliche Chormusik – offenbar genau das, was der Mann gesucht hat, denn er stellt das Radio noch etwas lauter und drückt es sich dann ganz eng ans Ohr. Man hört jetzt fast gar nichts mehr. Sogar als diese Typen reinkommen, die „Hit the Road Jack“ spielen, nimmt er das Radio nicht vom Ohr. MARGARETE STOKOWSKI