die woche in berlin
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Clara Herrmann will Monika Herrmanns Nachfolge als grüne Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg antreten – kann sie das? Schnee und Sonne machen den Lockdown leichter erträglich – aber wie lange noch? Und: Der 1. FC Union löst Hertha als mitgliederstärksten Club ab – was hat Bert Brecht damit zu tun?

Ein Sprung
ins kalte
Wasser

Clara Herrmann tritt in Friedrichshain-Kreuzberg an

Die Konflikte, die Monika Herrmann in ihrer Zeit als Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg zu lösen hatte, waren dicke Bretter: die Besetzung des Oranienplatzes, der Drogenhandel im Görlitzer Park. Weil die Verkehrswende nicht vorankam, zog die Grüne kurzerhand auch das Straßen- und Grünflächenamt an sich. Ach ja, für das Jugendamt war sie auch noch zuständig. Ziemlich viel Holz also.

Die Themen, mit denen ihre Parteikollegin Clara Herrmann zu tun hatte, waren dagegen Wohlfühlthemen. Als Kulturstadträtin durfte sie Ausstellungen eröffnen und die Vielfalt des bezirklichen Kulturlebens loben. Allerdings war sie als Zuständige für Finanzen auch fürs Große und Ganze verantwortlich.

Monika Herrmann hört zum Ende der Legislaturperiode auf. Am Dienstagabend hat Clara Herrmann bekannt gegeben, für die Grünen als ihre Nachfolgerin antreten zu wollen. Seitdem fragen sich viele: Schafft sie das?

Ihre politische Karriere hat die heute 35-Jährige mit 17 bei der Grünen Jugend begonnen. 2006 zog sie mit 21 Jahren ins Abgeordnetenhaus – und war die jüngste Abgeordnete, die es bis dahin ins Landesparlament geschafft hatte. Schon damals vertrat sie die Grünen als Finanzpolitikerin im Haushaltsausschuss. Bei der Wahl 2011 rutschte sie auf der Landesliste von Platz 21 auf Platz 11 vor und zog erneut ins Parlament. 2016 aber kam der Knick. Clara Herrmann bekam keinen sicheren Listenplatz. Eine Karriere, die mit jungen Jahren begonnen hatte, schien nach zehn Jahren abrupt zu Ende gehen.

Dass sie dann doch weiterging, hatte mit einem personellen Umbruch der Grünen im Bezirk zu tun. Schon 2013 war der langjährige Bezirksbürgermeister Franz Schulz aus Altersgründen aus dem Amt geschieden. Für ihn übernahm die damalige Jugendstadträtin Monika Herrmann. 2016 dann wurde Baustadtrat Hans Panhoff nicht wieder aufgestellt. An seine Stelle trat der Aktivist Florian Schmidt. Und Clara Herrmann zog als Stadträtin für Umwelt, Kultur und Finanzen ins Rathaus ein.

Dass sie sich nach dem Rückzug von Monika Herrmann nun auf den Chefinnenposten bewirbt, ist folgerichtig. Auch, dass Florian Schmidt seinen Hut nicht in den Ring geworfen hat. Als Baustadtrat gilt er, trotz aller Probleme, die seine Amtszeit mit sich brachte, nach wie vor als Aktivposten. Als Bürgermeister aber wäre er schwer vermittelbar. Schmidt ist keiner, der die anderen mitnimmt, er sucht lieber den Konflikt.

Das ist also das Setting, in dem Clara Herrmann nun zeigen muss, dass sie es kann. Einfach wird es nicht, denn die Zeiten, in denen Friedrichshain-Kreuzberg automatisch grün wählt, sind vorbei. Die Linke ist auf Tuchfühlung. Allerdings steht noch nicht fest, wer für sie ins Rennen geht. Ihr Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler tritt nicht mehr an.

Eines aber blieb Clara Herrmann verwehrt. Anders als ihre Vorgängerin kann sie nicht als Amtsinhaberin in den Wahlkampf ziehen. Es ist ein Sprung ins kalte Wasser. Uwe Rada

Ein bisschen wie Brot und Spiele

Das Winteridyll mindert den Frust über längeren Lockdown

Manchmal muss man auch mal Glück haben als Regierungschef. Wie wäre es gewesen, wenn Michael Müller sich bei vor wenig mehr als einer Woche noch in Berlin vorherrschedem Nieselwetter hätte hinstellen und erklären müssen, warum der vor Weihnachten verhängte und schon zweimal ausgedehnte Lockdown weitergeht? Erklären müssen, warum der Tunnel, an dessen Ende Licht sein soll, noch mal ein ganzes Stück länger wird. Denn schon bei der ersten Verlängerung Anfang Januar hatte Müller Verständnis für blank liegende Nerven gezeigt und zu einer nochmaligen Anstrengung aufgerufen.

Doch draußen ist es nicht länger gräulich, sondern weiß verschneit. Und pünktlich zur Coronaministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin am Mittwoch setzte sich auch noch die Sonne an einen plötzlich blauen Himmel und machte aus dem erst grauen, dann weißen Berlin ein Winterwunderland.

Das ist ein Ambiente, das den Frust über den nochmals verlängerten Lockdown durchaus mindern kann. Wer mit seinem Einzelhandelsgeschäft vor dem Konkurs steht, dem wird das kaum helfen. Aber der Heimarbeiter, der jetzt seine durchaus mal nervigen Kinder raus in den Schnee schicken und sich auch selbst ein paar Sonnenstrahlen aufs Gesicht scheinen lassen kann, dürfte das dankbar annehmen. Umso mehr, weil die Winterferien in der Vorwoche ja ausgefallen sind.

Im antiken Rom hatte es Methode, die Massen der Großstadt, den Plebs mit freier Bewirtung und Unterhaltung in kriselnden Zeiten zu beruhigen. Panem et circenses, Brot und Spiel, hieß das. Schnee, Kälte und blauer Himmel üben dieselbe dämpfende Wirkung aus. Bloß mit dem Unterschied, dass auch ein moderner Regierungschef schönes Wetter nicht einfach bestellen kann – man muss eben auch mal Glück haben.

Die Frage ist: Wie lange hält diese Ablenkung vor? Für den 20. Februar zeigt die Wettervorschau schon wieder Tristesse an, und mit der Zeit wird auch bei Kälte das schönste Weiß grau. Es war erst einmal der letzte Joker für die allgemeine Stimmung: Wenn die Zahlen auch Anfang März nicht im angestrebten Bereich sind, dürfte ein noch längerer Lockdown aller virologischen Expertise zum Trotz nur schwer zu vermitteln sein. Stefan Alberti

Rasantes Wachstum im Osten

Union schlägt als nun größter Klub Hertha in allen Belangen

Nur zur Erinnerung: Hertha BSC war schon deutscher Fußballmeister. Zweimal sogar. Und der 1. FC Union Berlin noch nie. Das mit den Meisterschaften ist aber durchaus etwas länger her. Um das mal historisch einzuordnen: Die erste Meisterschaft feierte Hertha in dem Jahr, in dem der an Umwälzungsprozessen sehr interessierte Bertolt Brecht die Uraufführung seiner Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ erleben durfte, also 1930. Und bei der zweiten gleich eine Saison später im Jahr 1931 arbeitete Brecht gerade am Drehbuch für den Film „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“

Oder, die Frage auf den Platz gebracht: Wer gewinnt?

Diese Woche wurde verkündet, dass Union Berlin im Vergleich zu Hertha die Nase endgültig vorn hat und die Fans sie entsprechend hoch tragen dürfen. Nach der am Dienstag veröffentlichten neuen Mitgliederstatistik des Landessportbunds haben die Eisernen 37.360 Mitglieder, 37.192 halten zur „alten Dame“. Ein knappes Spiel. Trotzdem hat Union Hertha jetzt als größten Berliner Sportverein abgelöst.

Womit Brecht wieder mal recht behalten hat, der in seinem „Lied der Moldau“ darauf hinwies: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.“

Es wechseln die Zeiten. Der Platzhirsch im Berliner Fußball muss auf die Ersatzbank, der Underdog macht sich gerade wirklich herausfordernd gut auf dem Spielfeld. Beherzte Unioner dürfen in dieser Saison sogar vom Europapokal träumen, während Hertha momentan knapp vor den Abstiegsrängen steht. Eine Situation übrigens, in die Hertha nach der Logik des Spiels („Geld schießt Tore“) nie hätte kommen dürfen. Schließlich hat der 2019 eingestiegene Investor Lars Windhorst schon 290 Millionen Euro in den Verein gepumpt, bis Sommer sollen weitere 84 Millionen folgen.

So viel Geld. Wobei Union für viele gerade deswegen attraktiv ist, weil der Verein der Ligalogik zu trotzen scheint und auch ohne großes Geld genug Tore schießt. Überhaupt will man den Klub als die Ehrliche-Haut-Alternative sehen, wo der Fußball, wenn es sein muss, noch richtig malocht wird. Ein Herzensverein für FußballromantikerInnen. Dazu passt, dass im Union-Stadion An der Alten Försterei der Spielstand auf der Anzeigetafel weiter per Hand aktualisiert wird.

Und dieses Stadion erklärt auch die rekordhohe Mitgliederzahl. 22.000 ZuschauerInnen (die bestimmt wieder mal reindürfen zum Spiel) fasst es. Im Olympiastadion, wo Hertha kickt, sind es weit über 70.000. Selbst Kurzentschlossene fanden da fast immer mehr als nur ein Plätzchen zum Gucken. Bei Union nicht. Eintrittskarten sind bei dem familiären Ostverein Bückware. Die Chance auf eine haben allein Vereinsmitglieder. Und Erfolg macht beliebt: Mit den jetzt 37.360 Mitgliedern hat man bei Union rund 15.000 mehr als zum Zeitpunkt des Aufstiegs in die erste Liga im Mai 2019.

So einen heuschreckenschwarmgroßen Erfolg mag man als Bestätigung der geleisteten Arbeit lesen. Oder als Gefahr. Die Frage ist schon auch, ob Union Berlin den Erfolg überhaupt aushalten kann, wenn die FußballromantikerInnen den Osten und das Familiäre aus dem Verein gentrifiziert haben.

Aber nur weil der Verein nun der größte ist, halten UnionerInnen die Nase natürlich noch lange nicht hoch. Sicherheitshalber. Sie wissen ja auch, dass Meisterschaften sowieso überbewertet sind. Thomas Mauch

„Das Große bleibt groß nicht undklein nicht das Kleine“

Thomas Mauch erklärt mit Brecht die Entwicklung bei Union