die woche in berlin
: die woche in berlin

Die SPD kommt auf gute Ideen in Sachen Bildungspolitik in ihrem Wahlprogramm. Die Grünen werden zur Bremse bei der Absicherung der Berliner Kleingärten. Und ein Moralexperte braucht mehr Wohnraum – und wirft dafür Mie­te­r:in­nen raus

Wie schön,
dass die SPD
noch Ideen hat

Kita und Schule im Entwurf
des SPD-Wahlprogramms

Dass sie nicht erneut zur Verfügung stehen wird für den Posten der Bildungssenatorin, das hat Sandra Scheeres (SPD) bereits gesagt. Und es ist schon ganz erstaunlich: Jetzt, da die dienstälteste Senatorin in der rot-rot-grünen Koalition abtritt – Scheeres verantwortet das Bildungsressort seit 2011 – und jetzt, wo tatsächlich auch eine sozialdemokratische Ära in diesem Ressort, das seit 1999 von der SPD besetzt wird, enden könnte, genau jetzt also kommen die GenossInnen mit ein paar frischen Ideen um die Ecke.

Da liest man in ihrem Programm für die kommende Berlinwahl etwa von einer bezahlten Ausbildung für ErzieherInnen und einer stärkeren Aufsicht über die privaten Schulen. Man liest, dass die SPD eine wirklich unabhängige Beschwerdestelle für Rassismus an Schulen will – die es bisher nicht gibt –, und auch, dass die GenossInnen für eine Abschaffung des „ndH-Indikators“ sind. NdH steht für „nicht-deutsche Herkunftssprache“ – je mehr SchülerInnen mit dieser Zuordnung Schulen haben, desto mehr Mittel etwa für Sozialarbeit bekommen sie. Statt „ndH“ aber auf diese Weise stigmatisierend mit „Problemschüler“ gleichzusetzen, wollen die Sozis künftig differenziertere „soziale Indikatoren“ zur Grundlage für die Ressourcensteuerung machen.

Am Montag hatte die Berliner SPD den Entwurf für ein Wahlprogramm zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst veröffentlicht. Das 100-seitige Papier, signiert von den neuen Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey, die auch Spitzenkandidatin ihrer Partei ist, wurde bereits im Landesvorstand abgestimmt und soll, nach einer Runde durch Kreisbüros und Ortsvereine, im April mit dem Segen der Basis verabschiedet werden.

Die SPD macht in den Kapiteln Kita und Schule jedenfalls recht deutlich, mit wem sie ihre Ideen gerne umsetzen möchte, wenn sie selbst nicht mehr in Ressortverantwortung sein sollte – jetzt muss sich nur noch jemand melden aus den Reihen der Linken oder der Grünen. Ob die SPD das Bildungsressort aktiv loswerden möchte nach der Wahl? Nicht unwahrscheinlich. Zu gewinnen gibt es in dem Job nicht viel, dafür gibt es mit der verschleppten Digitalisierung, dem Fachkräftemangel und dem ebenfalls verschleppten Schulneubau einfach noch auf Jahre hinaus zu viele Großbaustellen – nicht überraschend, dass sich bisher auch niemand aus der SPD wirklich für Scheeres’ Nachfolge beworben hat.

Aber schön, dass die SPD offenbar noch gute Ideen hat. Auch die (Grünen-)Vision der Campus-Schule ist so eine gute Idee. Weil es Sinn macht, Schulen in den Kiez zu öffnen und mit den Vereinen und Jugendclubs zusammenzuarbeiten, wo die Kids nachmittags abhängen. In Neukölln wird das an der Rütli-Schule schon praktiziert. Aber viel zu oft sind Vereine und Initiativen nur bei Projekten an Bord statt wirklich eingebunden in die Schul(sozial)arbeit.

Rätselhaft bleibt, warum die SPD ihre guten Ideen nicht einfach selbst umgesetzt hat. Zeit wäre ja genügend gewesen. Anna Klöpper

Rätselhaft bleibt, warum die SPD ihre guten Ideen nicht einfach selbst umgesetzt hat. Zeit wäre ja genügend gewesen

Anna Klöpper über Bildungspolitik im SPD-Wahlprogramm

Die Grünen und das Grün

Kleingartenentwicklungsplan hakt im Abgeordnetenhaus

Die Ägide von Rot-Rot-Grün neigt sich ihrem Ende zu, und so langsam wird es für die Koalitionärinnen Zeit, noch ein paar ihrer Projekte unter Dach und Fach zu bringen. So auch den Kleingartenentwicklungsplan (KEP), der die allermeisten der gut 70.000 Berliner Gartenparzellen dauerhaft erhalten soll. Der Senat hat ihn beschlossen, aber jetzt hakt es im Abgeordnetenhaus, und zwar unter den Fraktionen des regierenden Bündnisses. Zu besichtigen war das am Donnerstag im Umweltausschuss des Parlaments.

Das Thema ist nicht wenig brisant – weil es den Alltag von Hunderttausenden Menschen in der Stadt betrifft, aber auch, weil SPD und Linke hier bei einem Thema punkten, das die Grünen eigentlich gerade erst zu ihrem gemacht hatten.

Dass Kleingärten viel mehr sind oder zumindest sein können als Abstellflächen für Gartenzwerge, ist mittlerweile klar. Die grün geführte Umweltverwaltung bezeichnet sie längst als „historisch gewachsene, kulturelle, ökologische und soziale Ressource“, die dauerhaft zu schützen sei.

Nur: Ist der Kleingartenentwicklungsplan wirklich mehr als ein politisches Versprechen? Eine wasserdichte Absicherung per Bebauungsplan hat weiterhin nur jeder sechste Garten. Welche Perspektive haben die knapp 7.000 Gärten, für die es bloß Bestandsschutz bis 2030 gibt? Und was ist mit dem nicht unerheblichen Anteil öffentlicher Kleingärten auf privaten Flächen?

Hier ziehen plötzlich Rot&Rot die rettende Idee aus dem Ärmel: SPD und Linke wollen noch schnell ein Gesetz durchbringen, das den Erhalt aller Kleingärten festschreibt und diesen so rechtlichen Schutz gibt – durch die Anpassung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen, aber auch durch den Ankauf von Anlagen auf privatem Grund.

Das sei alles ein „Wünsch dir was“, kritisiert der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Turgut Altuğ. Rechtlich betrachtet sei ein solches Gesetz extrem schwierig, da es mit dem Bundeskleingartengesetz konkurrieren würde. Und in der Senatsumweltverwaltung fürchtet man schon eine Klagewelle privater Flächeneigentümer.

Fast ist es ein bisschen tragisch: Ausgerechnet bei ihrem Herzensthema „Stadtgrün“ müssen die Grünen plötzlich den undankbaren Part des Bremsers und Bedenkenträgers spielen. Keine schöne Rolle im anstehenden Wahlkampf.

Claudius Prößer

Erst kommt der Wohnraum, dann die Moral

Ex-Moralkolumnist Erlinger hat Eigenbedarf für vier

Für die Süddeutsche Zeitung hat er 16 Jahre lang in seiner Kolumne „Die Gewissensfrage“ moralische Fragen seiner Le­se­r:in­nen beantwortet: Rainer Erlinger, Deutschlands wohl bekanntester Autor in Sachen Moral. Der doppelt promovierte Jurist und Mediziner schrieb mehrere Bücher zum Thema, trat im Deutschen Theater mit einer „Moral-Show“ auf und hielt als Gastprofessor Vorlesungen über Moral.

Eine Antwort auf seine persönliche Gewissensfrage ist Erlinger allerdings schuldig geblieben. Die nämlich lautet: „Darf ich allen Mie­te­r:in­nen aus meinem Mehrfamilienhaus in Berlin-Mitte wegen Eigenbedarfs kündigen, weil ich alleine in vier Wohnungen auf 240 Quadratmetern leben will?“

Für sich selbst hat Erlinger diese Frage trotz des angespannten Berliner Wohnungsmarktes mit einem simplen Ja beantwortet. In einem Kündigungs­schreiben an einen seiner Mieter lässt Erlinger 2017 seine Anwältin schildern, dass er die Kündigung zwar bedauere, sie aber leider unumgänglich sei: Er lebe sehr beengt in seiner derzeitigen Vier-Zimmer-140-Quadratmeter-Wohnung in Prenzlauer Berg. Besuch müsse auf einer aufblasbaren Luftmatratze im Arbeitszimmer schlafen („ein für alle Beteiligten unschöner Zustand“), außerdem verfüge Erlinger zudem „über eine beachtliche Anzahl Bücher, für die in den Regalen schlicht kein Platz mehr ist“. Platz für neue Regale sei aber auch keiner da: „Der Eigenbedarf meines Mandanten verdringlicht sich von Tag zu Tag“, heißt es im Anwaltsschreiben.

Deswegen wolle Erlinger künftig allein in den vier Wohnungen auf 240 Quadratmetern leben, wie es in dem Schreiben heißt – mit eigener Bibliothek und Ankleidezimmer, einer Einliegerwohnung für Gäste, einem Fitnessraum und vielleicht einer kleinen Sauna.

Seine letzte Räumungsklage endete nun Mitte Januar mit einem Vergleich. 112.000 Euro soll Erlinger seiner letzten Mieterin zahlen, wenn diese die Wohnung verlässt. Weitere Be­woh­ne­r:in­nen sind offenbar nach Räumungsklagen und gerichtlichen Vergleichen bereits draußen. Erlinger schrieb auf Anfrage, das Haus sei seine Privatsache.

Der Prozessvertreter der Mieterin hat zusammen mit dem Mietshäuser Syndikat im vergangenen Dezember einen Antrag auf Enteignung nach Artikel 14 des Grundgesetzes gestellt, nach dem Eigentum verpflichtet und dem Wohle der Allgemeinheit dienen muss. Die Behörde verweist auf ein fehlendes Enteignungsgesetz.

Nun, das könnte es in Berlin bald ­geben: Das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen strebt einen Volksentscheid zur Schaffung eines solchen Gesetzes an. Allerdings soll dies nur für Immobilienfirmen mit über 3.000 Wohnungen in Berlin gelten. Fälle wie der von Erlinger werfen zumindest die Frage auf, inwiefern auch über diese Untergrenze gerne noch diskutiert werden darf. Gareth Joswig