„Wir sind nicht auf Brautschau“

EINHEITSLISTE Hamburgs Parteien suchen verstärkt Kooperation statt Konfrontation. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel im taz-Interview über die Konsenssucht im Rathaus

■ 37, Jurist, verheiratet, drei Kinder. Seit 2004 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, seit 2011 Fraktionschef, Direktmandat im Wahlkreis 13 (Alsterdorf/Walddörfer). 2010 bis 2012 stellvertretender SPD-Landesvorsitzender.

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Dressel, können Sie den Begriff „Humanität“ buchstabieren?

Andreas Dressel: H, u, m, a, n, i, t, a-Umlaut, t.

Können Sie diesen Begriff auch erläutern?

Ich ahne, worauf Sie hinauswollen: das Ausländerrecht. In diesem Zusammenhang bedeutet Humanität, die sehr engen juristischen Grenzen im Sinne der Betroffenen ausnutzen. Wir sind aber an die bundesgesetzlichen Vorgaben gebunden und können leider keine rechtlichen Sonderwege gehen.

Die Abschiebung der fünfköpfigen Roma-Familie Racipovic vor zwei Wochen nach Serbien hat für viel Entrüstung gesorgt. Warum so gnadenlos?

Das hatte nichts mit Gnadenlosigkeit zu tun, sondern mit rechtlichen Vorgaben. Der gesamte Sachverhalt, der nur der Härtefallkommission der Bürgerschaft bekannt war, ließ im Ergebnis leider keine andere Lösung zu.

Warum wird das alles hinter verschlossenen Türen verhandelt?

Die Vertraulichkeit soll eigentlich dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dienen. Man könnte aber darüber nachdenken, diese Vertraulichkeit mit Einwilligung der Betroffenen zu lockern. Die Familie Racipovic hat die Öffentlichkeit gesucht, weil sie auf Unterstützung hoffte. Das ist verständlich. Die staatlichen Stellen – die Ausländerbehörde sowie der Eingabenausschuss und die Härtefallkommission der Bürgerschaft – dürfen sich aber nicht zu den Gründen ihrer Entscheidungen äußern. Vielleicht wären manche Sachverhalte transparenter, wenn diesen Gremien oder ihren Mitgliedern eine kurze, sachliche Reaktion auf öffentlich geäußerte Vorhalte gestattet würde.

Sie wollen ein Ende der Geheimniskrämerei?

Es wäre jedenfalls gut, wenn Sachverhalte vollständig bekannt sind, wenn man sie bewertet.

In der Bürgerschaft sind seit Jahresbeginn viele Beschlüsse mit breiten Mehrheiten oder sogar einstimmig gefasst worden. Gibt es im Rathaus eine neue Konsenssucht?

Nein. Aber ist es nicht positiv, wenn ein breiter Konsens hergestellt werden kann? Es gibt doch immer noch genügend Themen, über die es unterschiedliche Ansichten in der Bürgerschaft gibt. Aber über die Spielregeln von Demokratie sollten wir uns nach Möglichkeit nicht streiten. Das wollen wir als SPD nicht, wir suchen dort den Konsens oder zumindest die breite Mehrheit.

Ist es eine Frage der politischen Hygiene, Regierungsmehrheit nicht um jeden Preis zu nutzen?

Ja, es ist ein Zeichen guter demokratischer Kultur, stärker die Gemeinsamkeiten zu betonen, nicht immer nur die Unterschiede. Ich glaube, niemand in der Stadt möchte, dass wir uns im Rathaus ständig die Köpfe einschlagen. Die Menschen wollen, dass wir vernünftig für das Gemeinwohl zusammenarbeiten, wo das inhaltlich möglich ist.

Die SPD hat unterhalb von Verfassungsänderungen eine eigene Mehrheit. Sind ihre Kooperationsangebote ein Versuch, die Opposition zu spalten?

Nein. Gerade bei der Volksgesetzgebung und beim Transparenzgesetz ging es darum, möglichst einstimmige Mehrheiten zu erzielen, die auch über die Legislaturperiode hinaus wirken.

Oder wollen Sie potenzielle Koalitionspartner für die nächste Legislaturperiode schon mal anfüttern – ein Leckerli hier, ein Leckerli dort?

Nein, es geht um politische Entscheidungen im Einzelfall. Die Zustimmung der Grünen zur Schuldenbremse erfolgte in derselben Woche, in der GAL-Fraktionschef Jens Kerstan gegen die Entscheidung, den städtischen Anteil an der Reederei Hapag-Lloyd zu erhöhen, das Landesverfassungsgericht anrief. Das zeigt schon, dass es hier keinerlei Koalitionslogik gibt.

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding sagte vor zwei Wochen im taz-Interview, sie könne sich nach der nächsten Wahl eine Koalition mit der SPD vorstellen. Erfreut Sie das?

Wir sind nicht auf Brautschau für 2015.

Linksfraktionschefin Dora Heyenn sagte hingegen vorige Woche, eine Koalition mit der SPD des Agenda-2010-Architekten Olaf Scholz sei undenkbar. Erleichtert Sie das?

Die „Linke“ macht in Hamburg meist eine recht ordentliche Oppositionspolitik. Sollte sie nach der nächsten Wahl wieder in die Bürgerschaft einziehen, wünsche ich ihr, dass sie das fortsetzt.

Eine längere Fassung des Interviews finden Sie auf www.taz.de