Mal ganz altmodisch für die Kunst werben

ANEIGNUNG Fantastische Transformation öden kleinstädtischen Raums: Ein Ausstellungsparcours im niedersächsischen Langenhagen verknüpft auf geistreiche Weise Kunst und Wirklichkeit

Bunte Fähnchen flattern im Eingang, es ist Mittagszeit, viele sind zum Essen gekommen in die Europa-Markthalle in Langenhagen. Das 50.000-Einwohner-Städtchen nördlich von Hannover weiß den Flughafen und die Galopprennbahn in seinen Gemeindegrenzen. Und ist der niedersächsischen Landeshauptstadt auch sonst in freundschaftlicher Rivalität verbunden. So versteht sich die Europa-Markthalle als kleine Konkurrenz zum Hannoverschen „Schlemmerparadies“ – veredelt angeblich sogar durch sporadische Mittagsgäste aus der großen Nachbarstadt.

Teurer White Cube

Die beiden Markthallen eint, dass Geschäftslagen in der Obergeschossgalerie wenig gefragt sind. In Hannover hält sich dort gerade mal ein Lotto-Kiosk, in Langenhagen steht vieles leer. Einen großen Laden hat der örtliche Kunstverein derzeit teuer angemietet und zum White Cube renoviert. So etwas wie eine kostenfreie Zwischennutzung gibt es also nicht in Langenhangen, nicht mal aus Anlass der 700-Jahr-Feier, an der sich der Kunstverein mit einem aufwendigen, temporären Parcours beteiligt.

Geöffnet hat dieses Indoor-Angebot des Kunstrundgangs über Mittag. „Stunning Artworks“, verblüffende, gar atemberaubende Kunstwerke: Damit konfrontiert der Frankfurter Claus Richter die Mittagsgäste. Weitere solcher Werbefloskeln hat er zu einer Art Schilderwald montiert und spielt dabei mit antiquierten Reklamemethoden: Hinweispfeilen aus Pappe oder Plakate in schlichter Typografie, dafür von Lämpchen umkränzt, die eigentlich eher ins Schaustellermilieu als in den Kunstbetrieb passen.

Passend dazu hat Galerist Christoph Faulhaber daneben sein Bauschild zum „Guantánamo Allocation Center“ auf die Seite gekippt. Ursprünglich in der schicken Hamburger Hafencity aufgestellt, sorgte es im Sommer 2009 für eine gewisse Verunsicherung: So ganz sicher konnte man ja nicht sein, ob der Senat der Hansestadt hier nicht doch mit einem eigenen Aufnahmezentrum ehemaligen US-Gefangenen Asyl zu bieten plante.

Doppelbödiges Terrain

Um doppelbödiges Terrain, auf dem die Kunst agiert, geht es auch in anderen Arbeiten: zum Beispiel mit einer ironischen Wunschmaschine – einem Altar mit praktischen Elektro-Opferkerzen, der anspielt auf die weltweit typisierten Seniorenparadiese.

„An_Eignungen“ hat der Kunstverein den Parcours und sein Veranstaltungsprogramm betitelt. Neben dem ja nicht ganz ungewöhnlichen Ort – in der erwähnten Markthalle – hat die Kunst in Langenhagen aber auch unbekanntere Situationen für sich entdeckt. Eine Psychiatrie beispielweise gibt es am Ort, eingebettet in einen Grünraum. Aus dem früher gemiedenen Areal ist dank moderner Therapiemethoden eine öffentliche Idylle geworden. In eine dortige Voliere hat Sebastian Neubauer einen australischen Sittich importiert. Medientechnisch auf der Höhe seiner Zeit, sendet das Tier von seinem Lieblingsplatz aus exotische Porträts – via Kurznachrichtendienst Twitter.

Dieser animalischen Aneignung stehen in der Anstaltskapelle vegetabile Entsprechungen gegenüber: In den aufgegebenen Leichenkammern, nur zum Beispiel, zeigt Frauke Materlik ihre Dokumentation eines vergessenen Gartens nahe der Justizvollzugsanstalt am Flughafen Hannover. Fotos wuchernden Grüns und etwas Gartendeko, die ein unautorisierter Nutzer hinterließ.

Insgesamt zwölf Stationen hat sich solchermaßen die Kunst in Langenhagen angeeignet, darunter einen weiteren Sakralraum, aber auch Marktplatz, Rathaus, Stadtarchiv und Shoppingcenter, das in diesem Fall CCL heißt. Nicht nur den Stadtraum vereinnahmt der Rundgang, er schlägt auch den Bogen zu früheren Ausstellungsprogrammen, die sich mit der strukturellen und ästhetischen Verarmung von Erfahrungsräumen beschäftigten, in der Stadt oder im Dorf.

Synthetischen Erlebniswelten kommerziellen Typus, den standardisiert öden öffentlichen Räumen setzt „An_Eignungen“ künstlerische Spurensuche und phantastische Transformation gegenüber: individuelle Sehnsuchtshorizonte statt Public Design.  BETTINA MARIA BROSOWSKY

bis 26. August, Langenhagen