die woche in berlin
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Pál Dárdai ist erneut Hertha-Cheftrainer. Die Verschiebung der Abiprüfungen ist aktuell vernünftig, über ein Durchschnitts-abitur sollte dennoch nachgedacht werden. Widerstand gegen den Umgang des Berliner SPD-Vorsitzenden Raed Saleh mit parteiinternen Kritikern kommt für dessen Co-Vorsitzende und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey zur Unzeit

Eine
glückliche
Seele

Neuer, alter Trainer: Bei Hertha wird alles, wie es bleibt

In der volatilen Gegenwart hat Hertha BSC etwas Beruhigendes. Wie eine Modelleisenbahn fährt der Klub geistig und sportlich im Kreis, und ehe man es sich versieht, ist er schon wieder auf Anfang angelangt. BeobachterInnen mögen sich augenreibend fragen, ob es wirklich erst eineinhalb Jahre her ist, dass Pál Dárdai zuletzt vom Cheftrainerposten in Berlin verabschiedet wurde. Damals wurde er mit der Begründung entlassen, den Rückstand auf die ersten sechs verringern zu wollen. Ja, das ist wirklich lange her.

Heute darf Hertha sich glücklich schätzen, wenn es Dárdai gelingt, den erneuten Abstieg aus der Männer-Bundesliga zu verhindern. Es könnte klappen, die Konkurrenz unten ist noch schlechter. Und er hat das ja schon einmal getan, in seiner allerersten Hertha-Chef-Saison. Geschichte läuft hier in meditativen Kringeln, nicht aszendent wie bei Union. Hertha hat eine Runde gedreht und startet wieder am selben Bahnhof.

Gewiss, der Klub würde gern alles anders machen und ganz großartig sein. Was hat man nicht alles versucht: Den glücklosen Dárdai-Nachfolger Ante Čović ersetzte man durch den Suppenkasper Jürgen Klinsmann, parallel kam die Episode um den großmäuligen Investor Lars Windhorst und seine grotesken Vorhersagen von Champions League und „Big City Club“. Ein Gesamtinvestment von 374 Millionen Euro so dilettantisch zu verschleudern ist vermutlich ein Novum im deutschen Männerfußball. Das schaffte in vergleichbarem Zeitraum nicht mal der HSV. Klinsmanns legendäre Facebook-Schlussmache („HaHoHe, euer Jürgen“), ein erfolgloses Intermezzo unter Alexander Nouri, ein erfolgloses Intermezzo unter Bruno Labbadia, die Demission von Labbadia und Manager Michael Preetz, und jetzt wieder alles auf Anfang.

Just mit der unbegründeten Sehnsucht nach Glanz bleibt der Klub seiner Sisyphos-Laufbahn treu. Den Größenwahn zur Vereinsfolklore zu erheben mag Hertha-Fans das Leben erleichtern, ändert aber nichts daran, dass er ein schlechter Ratgeber ist. Im Gegensatz zu Hamburg oder Schalke war Hertha nicht einmal je groß. Wenigstens ist ein Abstieg damit erträglicher, denn da landet man ja alle Jahre wieder.

„Bescheidenheit und Geduld hat Hertha BSC nie verstanden“, schrieb die taz bei Dárdais letzter Demission. Hertha ist, wo man nicht weiß, ob man dieselbe Diagnose schon einmal oder schon fünfmal geschrieben hat. Pál Dárdai war stets einer derer, die die limitierte Realität und den langen Weg klar benannten. Auch deshalb wollte man ihn einst nicht mehr.

Und nun? Auf Dauer ist der hemdsärmelige Ungar im Trainer-Chefsessel der Windhorst-Hertha schwer vorstellbar. Er lässt sich ungern reinreden, verströmt wenig internationalen Chic, und verbale Angriffe auf London oder Madrid sind nicht seine Welt. Fürs Erste aber sind alle froh, dass es wieder um Rotwein und lustige Alligatoren geht. Alles wird, wie es bleibt. Vielleicht darf man sich Hertha BSC als glückliche Seele vorstellen.

Alina Schwermer

Hertha ist,
wo man nicht weiß, ob man dieselbe Diagnose
schon einmal
oder
schon fünfmal geschrieben hat

Alina Schwermer über den Trainerwechsel bei Hertha BSC

Weg mit dem Prüfungsfetisch

Berlin verschiebt die Prüfungen zum Abitur

Das Abitur erweist sich als erstaunlich pandemieresilient. Das zweite Coronajahr in Folge hat die Berliner Bildungsverwaltung entschieden: Die Abiturprüfungen finden statt – zwar um einige Tage verschoben, aber dennoch. Und die anderen Länder dürften dieser Vorlage folgen, weil der Druck nach (zumindest formal) vergleichbaren Abschlüssen beim Abitur hoch ist.

Nicht umsonst betonte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Mittwoch, den Berliner SchülerInnen würden „keine Nachteile“ entstehen. Tatsächlich zogen sich die Gespräche hinter den Kulissen der KultusministerInnenkonferenz seit Wochen hin, und dass Berlin nun vorlegt, hat auch mit den frühen Prüfungsterminen aufgrund der zeitigen Sommerferien zu tun.

Ganz konkret zwei Wochen mehr „Lernzeit“ (O-Ton Scheeres) gewinnen die AbiturientInnen dadurch: Die Woche vor den in diesem Jahr am 29. März beginnenden Osterferien ist eigentlich stets schon unterrichtsfrei für den Abi-Jahrgang – nun wurde der letzte Schultag auf den Dienstag nach den zweiwöchigen Ferien gesetzt. Zudem wurde der erste Prüfungstermin um zehn Tage auf den 21. April verschoben. Prüfungsinhalte wurden eingegrenzt, es soll vorbereitende Tutorien geben und 30 Minuten mehr Bearbeitungszeit für die Abi-Klausuren.

Dass sich hernach niemand über das Berliner Corona-Abitur aufregte – und in Schulfragen sind die Lobbygruppen um Lautstärke nie verlegen – zeigt vermutlich, dass die Regelungen tatsächlich recht pragmatisch sind.

Anderswo sind die SchülerInnen da weniger zufrieden: In Bayern läuft gerade eine Petition für ein „Durchschnitts­abitur“ aus bisher erzielten Noten. Zusätzliche Prüfungen sollen freiwillig sein, um sich verbessern zu können. Letztes Jahr hatte der (damals anders besetzte) Berliner Landesschülerausschuss ebenfalls noch dafür gestritten. Nun ist ein Argument, dass insbesondere dieser Jahrgang sich unter sehr unterschiedlichen (Homeschooling-)Voraussetzungen vorbereitet hat und ein Durchschnittsabi Ungerechtigkeiten verschärfen könnte. Aber vielleicht erinnert sich jemand an diese Durchschnittsabi-Sache, wenn die Pandemie vorbei ist: Warum denn nicht? Weg mit dem Prüfungsfetisch. Schön wäre es. Anna Klöpper

Giffeys neues Problem heißt Raed Saleh

Der SPD-Chef geht rabiat gegen interne Kritiker vor

Warum hat Raed Saleh nicht seine Hand zur Versöhnung ausgestreckt? Seit November ist der Chef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus auch Landesvorsitzender der Berliner SPD. Zusammen mit der sozialdemokratischen Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, Franziska Giffey, bildet er eine Doppelspitze. Raed Saleh hat alles erreicht. Nichts geht mehr ohne ihn. Es sei denn, er stellt sich selbst ein Bein.

In Spandau, da ist Saleh der Chef der Kreis-SPD, scheint er nun übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Einer seiner Getreuen, Ordnungsstadtrat Stephan Machulik, kandidiert im Wahlkreis 3 gegen den umweltpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Daniel Buchholz. Der hatte den Wahlkreis 2016 souverän geholt. Wollte Machulik tatsächlich ins Landesparlament, hätte er sich auch für zwei andere, vakante Wahlkreise entschieden können.

Hat er aber nicht. Zu Recht hat Buchholz das als Kampfansage begriffen und den Vorgang öffentlich gemacht. Seine Erklärung: Saleh, der in Spandau alle Fäden zusammenhält, wolle ihn wegen eines Briefes kaltstellen, den 14 Abgeordnete, darunter auch Buchholz, 2017 verfasst hatten. Darin kritisierten sie den Führungsstil von Saleh als Fraktionschef. Er vernachlässige die Fraktionsgeschäfte und promote lieber sein eigenes Buch, hieß es damals. Außerdem kehre er Debatten unter den Tisch.

Saleh hat die Kritik ausgestanden, indem er sie ausgesessen hat. Mehr noch. Er ist auf der Karriereleiter ganz oben angekommen. Warum geht er nun auf ­einen Rachefeldzug? Diese Frage kann der 43-Jährige wohl nur selbst beantworten.

Eine aber kann auf diese Antwort nicht warten. Ebenfalls seit November ist Franziska Giffey, derzeit Bundesfamilienministerin, zusammen mit Saleh nicht nur Landeschefin der Berliner SPD. Kurz nach dem Parteitag, auf dem sie 89,4 Prozent der Delegiertenstimmen bekam, wurde sie vom Landesvorstand einstimmig zur Spitzenkandidatin nominiert. Die offizielle Kür soll am 24. April erfolgen.

Bis dahin muss die SPD geschlossen dastehen, denn Giffey steht noch eine Menge Arbeit bevor. Weder hat sich ihre Nominierung signifikant in einem Aufschwung bei den Meinungsumfragen niedergeschlagen. Noch ist die neuerliche Prüfung ihrer Doktorarbeit durch die FU Berlin abgeschlossen. Innerparteiliche Konflikte mit Potenzial zur Schlammschlacht kommen da zur Unzeit.

Sollte Saleh Daniel Buchholz tatsächlich für seine Unterschrift unter den Brief von 2017 abstrafen, ist das keine Spandauer Provinzposse. Das weiß auch Franziska Giffey. Sie müsste Saleh deshalb von der langen an die kurze Leine nehmen. Aber kann sie das? Buchholz scheint es zu hoffen. Er sagt der taz, er wünsche sich, „dass Franziska Giffey in diesem Fall vermittelt“.

Doch das ist nur die eine Baustelle. Die nächste erfolgt dann zeitgleich zur Kür Giffeys als Hoffnungsträgerin der SPD. Am gleichen Tag nämlich wird die SPD-Landesliste für die Bundestagswahl abgestimmt. Sollte Michael Müller Platz eins verfehlen, wäre das der Bruch eines Deals. Denn Müller hatte sich im Januar 2019 nur zugunsten Giffeys und Salehs von der Parteispitze zurückgezogen, weil ihm die beiden zugesagt haben, mit ihm als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Stattdessen herrscht nun Russisch Roulette in der SPD. Wen trifft die Kugel als Nächstes?

Uwe Rada