Bundesbürger nicht schutzlos

Auch wenn es grundsätzlich möglich ist, Deutsche an EU-Staaten auszuliefern, gelten für sie besondere Regeln. Sagt das Bundesverfassungsgericht

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Deutschland muss nachbessern. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern das deutsche Gesetz über den EU-Haftbefehl für „nichtig“ erklärt und eine schonendere Umsetzung der EU-Vorgaben gefordert. Deutsche sollen künftig nur dann ins EU-Ausland ausgeliefert werden, wenn die vermeintliche Straftat auch „maßgeblichen Auslandsbezug“ hat. Der Bundestag muss nun ein neues Gesetz beschließen.

„Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden“, so hieß es jahrzehntelang in Artikel 16 des Grundgesetzes. Allerdings war im Jahr 2000 eine Einschränkung angefügt worden, wonach die Auslieferung von Deutschen an Internationale Gerichtshöfe und an EU-Staaten erlaubt ist.

Damit wurden die Bundesbürger bei EU-Auslieferungsbegehren aber nicht schutzlos gestellt, erklärte Karlsruhe gestern. „Der Beziehung des Bürgers zu einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen entspricht es, dass der Bürger von dieser Vereinigung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann“, so die Richter. Es gelte zwar kein absoluter Schutz vor Auslieferung mehr, aber der Grundrechtseingriff müsse möglichst schonend erfolgen. Diesem Maßstab wurde das deutsche Gesetz nicht gerecht, so Karlsruhe.

Für eine Neuregelung verlangt das Gericht nun eine klare Unterscheidung zwischen Taten mit Inlands- und Auslandsbezug. „Wer als Deutscher im eigenen Rechtsraum eine Tat begeht, muss grundsätzlich nicht mit einer Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen“, so die Richter. Die Grundsätze der Rechtssicherheit müssten weiterhin gelten. Ausgeschlossen ist damit zum Beispiel die Auslieferung ans Ausland, wenn die Tat in Deutschland erfolgte, das Opfer aber ein Ausländer war. Auch wer fremde Strafgesetze durch Meinungsäußerungen im Internet oder in einer deutschen Zeitung verletzt, ist künftig vor Auslieferung sicher.

Die Mehrzahl der Auslieferungsbegehren aus dem Ausland kann aber wohl auch nach einer Neuregelung erfüllt werden. Denn hier sagt Karlsruhe: „Wer in einer anderen Rechtsordnung handelt, muss damit rechnen, hier auch zur Verantwortung gezogen zu werden.“ Wer also im Urlaub einen Mord begeht oder mit einem ausländischen Tochterunternehmen Betrug verübt, muss sich auch im Ausland vor Gericht verantworten – trotz schlechterer Haftbedingungen und unbekannter Rechtsordnung.

Außerdem muss der Gesetzgeber auch den Rechtsschutz der Bürger verbessern. Zwar sah das bisherige Gesetz die Möglichkeit vor, von der Auslieferung abzusehen, wenn gegen den Betroffenen bereits ein Ermittlungsverfahren in Deutschland läuft oder eingestellt wurde. Nur blieb diese Entscheidung ganz im Ermessen der Landesjustizminister und konnte nicht gerichtlich überprüft werden. Karlsruhe fordert nun zumindest eine Prüfung auf Ermessensfehler.

Alle Karlsruher Kritikpunkte betreffen das deutsche Umsetzungsgesetz. Der EU-Rahmenbeschluss wurde nicht beanstandet. Das EU-Recht lasse, so das Urteil, dem nationalen Gesetzgeber genügend Spielraum zu einer grundrechtsschonenden Umsetzung. Auch die Möglichkeit, Inlandstaaten ganz von der Auslieferung auszunehmen, ist im EU-Beschluss vorgesehen. Bundestag und Bundesregierung wurde vorgeworfen, dass sie vom vorhandenen Freiraum keinen Gebrauch gemacht haben.

Nur ein Richter, Siegfried Broß, sah einen Konflikt zwischen Grundgesetz und Europarecht. In seinem Minderheitsvotum forderte er, dass die Auslieferung von Deutschen ans Ausland generell verboten bleiben soll, weil die Prozesse auch in Deutschland stattfinden könnten. Zwei anderen Richtern, Michael Gerhardt und Gertrude Lübbe-Wolff, ging das Urteil dagegen zu weit. Es sei nicht nötig gewesen, gleich das ganze Gesetz für nichtig zu erklären.

Karlsruhe setzte dem Bundestag keine Frist für die Neuregelung. Justizministerin Brigitte Zypries will jedoch schon „in wenigen Wochen“ einen neuen Gesetzentwurf vorlegen. Die Abgeordneten Christian Ströbele (Grüne) und Sibylle Lauryschk (FDP) forderten, dass sich der Bundestag diesmal für die Beratung mehr Zeit nimmt.