Schuhe – und sonst gar nichts

AUSSTELLUNG []Das Übersee-Museum zeigt Schuhe ohne Ende: Von Ötzis Stiefeln über Goldsandalen mit Plateausohle und Turnschuhe fürs AKW bis zu Pumps für Männer

VON EIKEN BRUHNEs sind die kleinen altrosa-grau gemusterten Kinderschuhe mit Hasenöhrchen. Die sehen aus, als hätte sie eine Berliner Modedesignstudentin entworfen, wurden aber 1930 in China produziert, um Kinder vor dem bösen Blick zu schützen. Oder nein, noch besser: die Goldsandalen mit Plateausohle in allen Farben des Regenbogens. Die wären zur Premiere des Beatles-Films „Yellow Submarine“ der Hit gewesen, wurden aber schon 30 Jahre vorher eigens für die Schauspielerin Judy Garland angefertigt – von Schuhdesigner Salvatore Ferragamo. Oder die schicken jeansblauen Turnschuhe mit weißen Plastiksohlen, die in der tschechischen Republik bei der „Arbeit im Atomkraftwerk“ getragen werden sollten, wie ein Schild informiert. Oder die zarten Schühchen aus bunt bestickter Seide oder Brokat, die Damen und Herren in vergangenen Jahrhunderten im Theater oder auf dem Thron anzogen – ein schmerzhaftes Vergnügen, da es noch keine rechten und linken Leisten gab und die Schuhe erst eingelaufen werden mussten.

Oder beeindruckt nicht noch mehr die Grazie des Musters auf einer Lederriemensandale von einem unbekannten Schuhmacher im römischen Reich zwischen 375 und 425 nach Christus? Oder die Hochzeitsschuhe der Turkmenen aus den späten 40er Jahren des letzten Jahrhunderts – bunt bestickte Pantoffeln, die an Birkenstock erinnern? Oder die „Notschuhe“ – Einzelstücke gebastelt aus dem, was im Krieg und kurz danach zur Hand war: Tischdecken, Pressspan, Feuerwehrschläuche und ebenfalls so stylish, dass sie aus Berliner Boutiquen stammen könnten?

Wer noch mehr Beispiele lesen wollte, dem oder der sei die aktuelle Ausstellung im Überseemuseum dringend empfohlen, alle anderen verpassen nichts. Man braucht zwar keinen „Schuh-Tick“, so der Name der Schau, aber doch eine gewisse Begeisterung für Schuhe. Davon gibt‘s hier massenhaft: 400 Exponate, das älteste ein Nachbau des Stiefels, mit dem Ötzi im 4. Jahrtausend vor Christus über die Alpen stapfte, die jüngsten stammen aus diesem Jahr, darunter eine grauenhaft aufgerüschte Birkenstock-Sandale, beklebt by Heidi Klum.

Es handelt sich allerdings nicht um eine Design-Ausstellung. Sondern um – ja, was eigentlich? Eine kulturhistorische? Es werden Designer-Schuhe gezeigt, historische Sammlerstücke und Fußkleider fremder Völker aus dem Archiv des Überseemuseums, Fetisch-Objekte, Sportschuhe, Arbeitsschuhe und die Puma-Treter, mit denen Boris Becker Wimbledon gewann. Sandalen, Stiefeletten, Flip-Flops, Pumps, Plateauschuhe, Ballerinas, Zehenschuhe, Mokassins, Pantoffeln – es geht um Schuhe, Schuhe, Schuhe und sonst eigentlich nichts. Einzig die Herstellung wird in einer Kinder-Mitmachecke erklärt. Wer mehr wissen will, etwa über den Handel mit Schuhen oder deren kulturelle Bedeutung muss sich schon den Katalog zur Ausstellung kaufen.

Ein Problem ist das aber nicht, sofern man eben in etwa nachvollziehen kann, warum Leute viel Geld für Extra-Anfertigungen oder Designer-Stücke ausgeben. Schade nur, dass die Besucherin in der Schau keine Erklärung dafür bekommt, warum sie so hingerissen ist von Picassos Zebra-Sneakern oder Sissis Schnallenschlupfern. Warum Schuhe, wie die Ausstellung beweist, in Märchen eine entscheidende Rolle spielen und in Filmen, Kunst und Popsongs auftauchen, dass es nur eine Art hat. Auch Kuratorin Andrea Müller kann sich dem Phänomen nur annähern: Der Fuß sei ein besonderer Körperteil, schließlich trage er uns durch‘s Leben. Und kein Wunder, dass er oft erotisch aufgeladen sei, endeten doch viele Nerven in ihm. Doch wahrscheinlich hat es, wie sie vermutet, vor allem mit der Eigenschaft dieses Kleidungsstücks zu tun, dass es nach dem Ablegen nicht zerknittert, sondern wie eine Skulptur betrachtet werden kann. Und dass sich viele Schuhe tatsächlich weniger zum Tragen als zum Anschauen eignen – das können auch Männer am eigenen Leib erfahren. Für sie stehen übergroße lackrote High-Heels bereit, mit denen sie über einen Laufsteg stöckeln können. Danach werden sie wissen, was Oma meinte, wenn sie sagte: „Laufen können musst du darauf nicht. Hauptsache, du kommst auf der Party irgendwie von einem Raum in den nächsten.“

■ Bis 28.3.2010, Übersee-Museum