Warnschuss für Kleinkriminelle

CDU-Justizministerin will Schwarzfahren und Ladendiebstahl stärker verfolgen und Jugendliche in Warnschuss-Arrest bringen. Rechtsexperten zweifeln am Erfolg der neuen Law-and-Order-Politik

VON NATALIE WIESMANN

Unter der neuen Landesregierung sollen Bagatellen an Bedeutung gewinnen: Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) will Schwarzfahrer, Randalierer und Ladendiebe öfter vor Gericht sehen und fordert dafür mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften. Wegen der zu hohen Belastung seien diese allzu oft „den schnellen Weg der Einstellung des Verfahrens“ gegangen. Kriminologen bezweifeln aber, dass eine stärkere Verfolgung von Massendelikten die Zahl der Straftaten senkt.

Alle empirischen Befunde zeigten, dass für die meisten jungen Straftäter die Anklage abschreckend genug sei, sagt Michael Walter, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Uni Köln. „Die Eltern erfahren davon, die Schule erfährt davon, das ist schon sehr unangenehm für die Betroffenen.“ Wenn es sich um einmalige, vorübergehende Straftaten handle, würden Verfahren zu Recht eingestellt. Verfahrenseinstellungen gebe es im Übrigen nicht erst seitdem Staatsanwälte überlastet seien, sondern schon seit den 20er-Jahren, stellt Walter klar. „Ein Staat kann nicht alles verfolgen, er muss eine Auswahl treffen“. Zurzeit werden etwa 60 Prozent der Verfahren eingestellt.

Im NRW-Landesverband des deutschen Richterbundes gebe es keine einheitliche Meinung über Sinn oder Unsinn einer konsequenteren Verfolgung von Bagatelldelikten, sagt der stellvertretende Vorsitzende, Johannes Schüler. „Wenn die neue Regierung das will, muss sie uns mehr Personal zur Verfügung stellen.“

Rund 1.000 Staatsanwälte gibt es in Nordrhein-Westfalen, auf jeden von ihnen fallen mindestens tausend Ermittlungen pro Jahr. Unter der alten Regierung wurden zwar die Arbeitszeiten für Justizbeamten von 38,5 auf 41 Wochenstunden aufgestockt, doch dafür sollen fast 200 Stellen nicht wiederbesetzt werden. Müller-Piepenkötter will den Finanzminister Helmut Linssen (CDU) bitten, von den Stellenstreichungen abzulassen – oder sie zu verschieben. Sein Ministerium will sich dazu nicht äußern: „Das wird alles in den Haushaltsverhandlungen im Kabinett beraten werden“, sagt ein Sprecher.

Unter Prävention von Jugendkriminalität versteht die neue Justizministerin vor allem den so genannten Warnschuss-Arrest. Für die Abschreckungshaft, die bis zu vier Wochen andauern kann, bedarf es aber einer bundesweiten Gesetzesänderung – die CDU-geführten Länder fordern schon lange eine solche Regelung. Müller-Piepenkötter baut anscheinend schon auf eine Regierungsübernahme ihrer Partei im Bund.

Der Warnschuss-Arrest sei aber nur dann sinnvoll, so die Ministerin, wenn die Wartezeiten darauf verkürzt würden – dafür will sie für dieses Klientel mehr Plätze in den Jugendhaftanstalten einrichten lassen. „Die Strafe muss der Tat auf den Fuß folgen“.

Für Klaus Boers, Direktor des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Münster, ist diese Denkweise „martialisch“. Er ist sehr skeptisch, glaubt nicht an einen Erfolg des Warnschuss-Arrests. „Das ist nur ein Verwahrungsarrest, die Jugendlichen bekommen dort keine sozialpädagogische Begleitung“. Gerade Wiederholungstäter hätten diese aber dringend nötig. Allgemein verstehe er als Kriminologe nicht den ständigen Ruf der CDU und FDP nach der Verschärfung des Jugendstrafrechts. „Die Zahlen bei der Jugendkriminalität sind rückläufig“, sagt Boers.