wortwechsel
: Himmel, eine Impfung ist doch keine Mondlandung

„Du bist wohl nicht ganz geimpft!“ Das war mal eine scherzhafte Kritik, in Coronazeiten sorgt die Impfung für Debatten über Privilegien. Und immer wieder werden Gefährdete vergessen

14. Januar 2021, Sangerhausen, Sachsen-Anhalt. Eine Arzthelferin bei der Impfvorbereitung in einem DRK-Pflege- und-Betreuungszentrum, dem „Tor zur Altstadt“ Foto: Hendrik Schmidt/dpa

„Privilegien für Coronageimpfte:

Virulente Neiddebatte“, taz vom 17. 1. 21

Hochgeschaukelt?

Jetzt ernsthaft allgemein Privilegien für Geimpfte zu fordern, ist seltsam. Es zu debattieren, ist nicht verboten, aber ich fürchte, die Talkshows (und die taz-Seiten?) der kommenden Wochen werden davon vereinnahmt, und das Thema wird zu einer Bedeutung hochgeschaukelt, die anderen Themen zustünde. Wird sich diese Forderung nicht ohnehin in Luft auflösen? Geimpfte müssten eine Art „Immun-Ausweis“ bekommen und könnten damit ins Theater, in die Schwimmhalle – somit stehen diese Aktivitäten ab März/April primär den über 80-Jährigen zur Verfügung … Die Hälfte der Bevölkerung wird wohl frühestens im Hochsommer geimpft sein. Sollte der nächste Herbst bei einer Impfquote von sicherlich deutlich über 50 Prozent immer noch Shutdown-Maßnahmnen erfordern, dann hätten die Impfungen nicht den versprochenen Nutzen gebracht. Damit rechne ich nicht. Aber dann wären Impfprivilegien im Herbst fehl am Platze, sogar ein fataler Fehler, weil man sich in falscher Sicherheit wiegen würde. Matthias Sinn, Köln

Gezielte Spaltung?

Diese Debatte spaltet die Gesellschaft, es geht nicht mehr um Solidarität und Fairness, sondern nur noch um das Recht des Stärkeren. Jetzt wird einem schon, von einem Bundesminister unterstellt, verantwortungslos zu Erkrankten zu sein und Intensivbetten zu belegen. Jetzt geht es bei Herrn Maas nur noch darum, als Erster geimpft zu werden, koste es, was es wolle, um aus dem Lockdown herauszutreten. Der Rest darf dafür weiter im Lockdown leben, seine Kinder zu Hause betreuen und vielleicht muss er oder sie sich auch um Hartz IV kümmern. Das kann doch alles nicht richtig sein. Wenn unsere gewählten Volksvertreter so auftreten, müssen wir uns nicht wundern, dass es immer mehr nationalistische, narzisstische und spalterische Bewegungen gibt. Gilt denn Fairness und Solidarität nur im Kleingruppenalter der Kitakinder und danach nicht mehr? In unserer Gesellschaft ist es deshalb lebenswert, weil Menschen hier füreinander da sind, weil es Solidarität untereinander gibt, weil es Vielfalt gibt und weil es eben doch noch ganz viele Menschen in Deutschland gibt, die das engagiert im Alltag leben.

Ulrike Fink, Kassel

Stimmung machen?

Privilegien für Geimpfte? Jetzt kommt Dampf in den Kessel, das verspricht Thermik und Bewegung. Die Idee der Sozialdemokrat:innen, via 4Letter-Gazette politisch kalkuliert Stimmung durch den Außenminister zu machen, birgt Risiken. Der Konsens zur Einforderung einer allgemeinen Solidarität bröckelt weit über Parteiengrenzen hinaus. Erneut ist die öffentlich wahrgenommene Präsentation der Bun­des­mi­nis­te­r:in­nen erklärungsbedürftig. Vieles mutet wahlkampfinduziert an. Ein Höhepunkt oder Wendepunkt eines Schicksals in der Pandemie (Krise) kann durch die Impfung definiert werden, im klassischen medizinischen Sinn. Für politische Krisen sind endemische Laut­spre­che­r:in­nen mit Getöse zuständig. Sozialer Druck aus der SPD statt bei der SPD, kein Novum. Martin Rees, Dortmund

Impft uns bitte! Schnell!

Mein Name ist Vanessa, ich bin 19 Jahre alt und habe spinale Muskelatrophie Typ 2. Ich habe eine Art von Muskelschwund, weswegen ich auf ständige Hilfe im Alltag angewiesen bin, einen elektrischen Rollstuhl nutze sowie ein Beatmungsgerät. Mein Bruder Marcel (25) hat die gleiche Erkrankung. Seit Beginn der Pandemie befinden sich mein Bruder und ich in Quarantäne. Uns ist aufgefallen, dass eine sehr große Gruppe von Risikopatient*innen, zu denen auch wir gehören, vergessen wurde. Menschen, die zu Hause durch ambulante Pflegedienste und Familienangehörige gepflegt werden, wurden nicht aufgeführt. Durch unsere Erkrankung ist unsere Atemmuskulatur sehr stark beeinträchtigt, weshalb es lebensnotwendig wäre, zu den Ersten zu zählen, die geimpft werden können. Ich selbst bin 2012 fast an einer normalen Grippe gestorben und mag mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn ich mich mit Covid-19 infiziere. Obwohl wir, so gut es geht, versuchen, jegliche Kontakte zu vermeiden, können wir doch auf einige nicht verzichten. Wir sind auf die tägliche Hilfe von Pflegekräften angewiesen und müssen oft mehrere verschiedene Therapien und wichtige Arzttermine wahrnehmen. Wir bitten Sie um Gehör für unser Anliegen, damit wir und alle Menschen in vergleichbarer Situation schnellstmöglich geimpft werden können.

Vanessa Glab, Berlin

Es geht um Grundrechte

Geimpfte Menschen wären nicht „besser gestellt“, gerade das ist doch der Denkfehler! Sie wären „normal gestellt“ und nicht Geimpfte schlechter gestellt. Grundrechte sind kein Privileg, sondern der Grundzustand. Ungleiches ungleich zu behandeln, ist eine Grundfeste des Rechtsstaates. Suryo auf taz.de

Die falsche Art von Panik

„Wachsende Sorge trotz sinkender

Zahlen“, taz vom 18. 1. 21

Ich habe die Befürchtung, und es deutet sich schon an, dass die Impfung uns nicht nur ein Ende der Pandemie bringen soll, sondern im Anschluss auch ein „weiter so wie bisher“. Konnte man die trockenen Sommer der letzten Jahre bei uns noch Zufall nennen oder sogar „schönes Wetter“, so ist Covid-19 ein viel deutlicherer Warnschuss der Natur, und zwar auch hier, mitten in Europa. Wir spüren den ersten Windhauch eines Sturms. Die angemessene Reaktion wäre doch Panik, wie Greta mal sagte; ich meine die Art von Panik, die zur Veränderung, zum Umdenken führt. Stattdessen erleben wir allerorten eine kurzsichtige Panik, die den Gesamtzusammenhang und die Ursachen dieser Pandemie ausklammert und nur Symptome bekämpft. Dann müssen wir uns aber auch nicht wundern, wenn das irgendwann nicht mehr genug ist.

Sebastian Hirschbeck, Nürnberg