berliner szenen Fleischbeschau

Künstlich und schick

„Fleisch mitbringen, Grill!“, stand auf der Einladungskarte für die „Schickeria Berlin“. Fast bedrohlich, dieser Satz. Ganz im Gegensatz zum heiteren Anlass: Selbstporträts von etwa 50 Berliner Künstlern, aufgehängt im Atelier Olivia Berckemeyers.

Sehr richtig war diese Aufforderung trotzdem, egal ob es nun Schinkengriller oder fabelhaft gebräunte Arme vorzuweisen galt – bei einem Künstlerfest im Sommerloch dreht sich sowieso alles um Fleischbeschau.

Wirklich interessant wurde die Taxierung, als einige Jugendliche im Grilldunst auftauchten, die nicht zur Gemeinde gehörten. Mit hodenschwerer Schiebehüfte kamen sie über den Hof an der Straßburger Straße. Ein großartiger Kontrast zu den Künstlern, die steifbeinig und mit hochgezogenen Schultern ihr Bier umklammerten. Kein Zweifel: Ausstellungen weiten die Sicht, besonders wenn unerwartete Gäste erscheinen. Man kann dann nicht nur Zusammenhänge herstellen zwischen „Selbstbildnis als Riesenrad“ und der für den Abend dynamisch hochgegelten Glücksradfrisur, sondern auch darüber meditieren, wie fein die Gesellschaft ausdifferenziert ist: Jede Weltauffassung plus angeschlossene Berufsgruppe hat eine ganz eigene Vorstellung von Schickeria.

Diese Idee führt zu Haltungsschäden bei den Künstlern, die von einfühlsamen Orthopäden behandelt werden – bei den Jugendlichen zu Knochenbrüchen, bei denen Unfallchirurgen gefragt sind. Während die einen die Hosen gefährlich tief tragen und mit den Goldketten rasseln, ziehen die anderen ihre Hosenbeine vorsichtig hoch. Statt Kampfringen verwenden sie Ostseewasser-Nasenspray, um Gesprächspausen zu überbrücken. Nur in ihren Selbstporträts gehen sie aus der schicken Deckung. NORA SDUN