Ungeheuer auf Tour

SCHACH Garri Kasparow kehrt ans Brett zurück – als Schaukämpfer und Trainer

„Die Spitzenspieler von heute haben zu wenig Charisma“

Garri Kasparow

VON HARTMUT METZ

Der beste Schachspieler aller Zeiten kehrt in die Szene zurück. Garri Kasparow hatte 2005 mit seinem letzten Sieg im spanischen Linares seinen offiziellen Rücktritt erklärt. Seitdem spielte der 46-Jährige nur noch gelegentlich unter Pseudonym im Internet. Jetzt sorgt der Russe wieder am realen Brett für Aufsehen: Erst elektrisierte die Fans die Nachricht, dass Kasparow den 18-jährigen Jungstar Magnus Carlsen als Trainer betreut. Weil sich der erste von fünf legendären WM-Kämpfen zum 25. Mal jährte, traf der Ex-Weltmeister zudem in Valencia auf seinen Landsmann Anatoli Karpow. „Es ist halt doch etwas anderes, die Figuren selbst zu bewegen, als Partien im Internet zu verfolgen“, meint Kasparow.

Mit Karpow hatte er lange nur eines gemeinsam: die gegenseitige Abneigung. Nicht nur auf dem Schachbrett trennten die beiden Welten. Auf der einen Seite der aggressive wie brachiale Angreifer Kasparow, auf der anderen der filigran operierende und geschmeidige Karpow. Wie eine Schlange schlich sich die Koryphäe an und erwürgte mit kleinen, subtilen Manövern die Gegner. Nach Ansicht seiner Kritiker agierte der Liebling der Kommunisten in der UdSSR kaum anders: immer aalglatt und angepasst an die Partei. Kasparow gerierte sich dagegen als „Kind des Wandels“, das furchtlos gegen das politische Establishment kämpft – dabei entlarvte sich das ohne Vater aufgewachsene Muttersöhnchen stets als Diktator, wenn es etwas bestimmen konnte.

Die sich in eherner Feindschaft zugeneigten Gegenpole kamen sich erst im Vorjahr näher: Der weit sympathischer wirkende Karpow brachte seinem egozentrischen Widersacher kleine Schach-Präsente ins Gefängnis. Kasparow widmet sich seit 2005 der Politik. Mutig stellte er sich gegen Wladimir Putin. Nach einer Demonstration wurde er eingekerkert. Seit dem Besuch schätzen sich die beiden früheren Kampfhähne auch privat. Kasparow dazu: „Die Zeit heilt alle Wunden.“

Angesichts eines erklecklichen Honorars einigte man sich so rasch auf den Wettkampf in Valencia. In Paris soll der nächste an ihre erste WM 1984 erinnern. „Moskau und die USA zeichnen sich zudem ab“, berichtete Karpow bereits vor dem ersten Zug von weiteren Stationen der Schaukampf-Tour. Der riesige Medienauflauf in Spanien und zehn Millionen Zuschauer, die die Partien im Internet verfolgen, überraschen Kasparow wenig. „Die Spitzenspieler von heute haben zu wenig Charisma. Karpow und ich haben in den 80er-Jahren die Ära des modernen Schachs begründet“, meint er.

Vom schachlichen Gehalt reichen die vier Schnellschach-Partien nicht an das hohe Niveau der einst nahezu fehlerlos agierenden Großmeister heran. Das liegt vor allem an Karpow, der im September nach rund vier Jahrzehnten aus den Top 100 der Weltrangliste herausflog. Zum Auftakt im Palau de les Arts überschritt der 58-Jährige in ausgeglichener Stellung nach nur 24 Zügen die Zeit. Anschließend entzauberte ihn Kasparow mit einem geistreichen Springeropfer, das zum Matt führte. Erst in Partie drei gelang Karpow der Ehrentreffer, ehe er zum 1:3-Endstand wieder unterlag. Im folgenden Blitz-Duell (mit fünf Minuten Bedenkzeit) zog Karpow mit 2:6 ebenfalls den Kürzeren. Über das Niveau der Altmeister mag Kasparow nicht diskutieren: „Das ist doch müßig. Die brasilianische Weltmeister-Elf von 1970 vergleicht doch auch keiner mit jener von heute.“

Wie manch alter Kicker arbeitet das „Ungeheuer von Baku“ aber jetzt auch als Trainer. Trotz seines Teilzeit-Comebacks will er Magnus Carlsen ganz an die Spitze führen. Wie Kasparow selbst soll die derzeitige Nummer vier die Weltrangliste über zwei Jahrzehnte anführen und Weltmeister werden. Das sei nur noch ein kleiner Schritt. „In den sechs Monaten, in denen ich mit Magnus zusammenarbeitete, entdeckte ich bei ihm zahlreiche Qualitäten der großen Champions“, gibt Kasparow zu Protokoll. „Wir können beide von der Zusammenarbeit profitieren – und vor allem das Schach“, sagte der Russe in einer Talkshow. Und: „Es fehlen große Namen in unserem Sport. Das will ich mit Magnus ändern.“