Werbetext für Fundamentalisten

betr.: „Backen und beten“ (Kindermissionierung in Brandenburg), taz vom 15. 7. 05

Das klingt ganz nach einem herzallerliebsten Familienidyll, als hätte jemand eine deutsche Liveversion der Waltons für die Jahrtausendwende gedreht. „Backen und beten“.

Da lebt der Patriarch, gütig und gerecht, wie ein weiser König im Märchen, mit seiner vielköpfigen, generationenübergreifenden Familie unter einem Dach und zieht zur Sommerzeit nicht einfach ab in den Süden, sondern wirft sich stattdessen in einen schmiedeeisernen Plattenpanzer, um die gottlose Jugend mit frommen Militäraufmärschen schwitzend zum Heil zu führen. Nebenbei haben er und seine „gut drauf“-Brüdergemeinde zwar ein rechtes Problem mit Scheidungen, Schwulen und Morden an ungeborenen Kindlein – aber geschenkt, hat das denn nicht jeder rechtgesinnte, einigermaßen normal gebliebene Mitbürger?

Oder was wollte mir dieser gutgemeinte Werbeartikel für einen Haufen Fundamentalisten in der brandenburgischen Wüstenei des Atheismus jetzt eigentlich genau mitteilen? (Ich habe da grundsätzlich Widerstände, egal mit welchem Treibmittel solche Leute backen und die Welt erklären wollen, um dann zu missionieren.) Vielleicht gibt es demnächst auch mal einen kleinen Bericht über die „gut drauf“-Arbeit der NPD-Jugend oder Scientology? Motto: Und wenn die ganze Welt in Scherben fällt, wir backen weiter an der wertkonservativen Nischenoffensive. Mutti zurück an den Herd, Vati verdient die Brötchen und bekehrt nebenbei die Gottlosen mit Mel Gibsons sadistischer Splatterorgie „The Passion“.

Besonders goldig ist der Optimismus im Artikel beim Punkt Mitspracherecht der Frauen. „Noch nicht ist nicht nie.“ Aha, Fundamentalismus gewährt da ja grundsätzlich jede Menge Zeit für Reifeprozesse. Mindestens zweitausend Jahre. Das beruhigt doch ungemein, ein gutes Gewissen ist schließlich das beste Ruhekissen. Gute Nacht, Johnboy. SASCHA NOLLER, Berlin