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Bis das Display verschwimmt

Wer Wettkämpfe rudert, kennt das Ergometer. Meist ist das eine Qual

Von Paula Bäurich

Die Hälfte ist geschafft, da geht jetzt noch was. Ja, ja, ja, bleib drauf! Mehr, mehr, mehr!“ Mir wird schwarz vor Augen – egal, jetzt nicht nachlassen. Während mir mein Trainer ins Ohr schreit, brennen meine Arme und Beine so sehr, dass ich sie kaum noch spüre. Immer wieder denke ich, dass ich abbrechen möchte, raus möchte aus dem Schmerz.

Aber ich habe noch gute dreieinhalb Minuten vor mir, die noch viel schlimmer werden als die ersten – erst dann ist der 2.000-Meter-Test auf dem Ruderergometer geschafft. Dreimal im gesamten Winter und zweimal im Sommer musste ich während meiner Zeit als Leistungssportlerin auf dem „Ergo“ – wie Ruderer*innen es nennen – zeigen, wo meine physische Belastungsgrenze liegt.

Denn das „Trockenrudergerät“ ist ehrlich – anders als im Ruderboot auf dem Wasser, wo insbesondere die Wettereinflüsse die Ergebnisse der Athlet*innen verfälschen. Das Ergo hingegen zeigt bei jedem Schlag, wie schnell ich bin. Auf einem Display wird neben der verbleibenden Distanz und der vergangenen Zeit angezeigt, wie viele Schläge ich pro Minute mache und welche Zeit ich mit dem zuletzt zurückgelegten Schlag auf 500 Meter hätte.

Vor allem die Schlagzahl und der 500-Meter-Wert sind entscheidende Daten für die Athlet*innen. Für ein Rennen bekommt man einen Wert zur Orientierung und gibt alles, um ihn zu halten. Das Ziel ist es, über die Strecke das Maximale aus dem eigenen Körper herauszuholen. Das funktioniert auf dem Ergo so gut wie sonst nirgends.

Allerdings musste ich das erst einmal lernen: Nicht nachzulassen, wenn es schon richtig weh tut, sondern noch einen draufzusetzen. Lange war mir gar nicht bewusst, wozu mein Körper noch in der Lage ist, wenn er schon brennt vor Schmerzen. Nach drei Jahren im Leistungssport wusste ich dann, was es heißt, sich auszubelasten: Du fällst vom Ergo, übergibst dich und kannst dich vor Schmerzen nicht mehr bewegen. Aber dein Trainer klopft dir auf die Schulter, wenn er deine Zeit sieht, und das ist, was zählt. Trotzdem habe ich es nicht bei jedem Test geschafft, mich bis zum Maximum zu fordern.

Vor einigen Jahren habe ich den Leistungssport an den Nagel gehängt, unter anderem, weil auch die mentale Belastung der Ergotests nicht zu unterschätzen ist. Ich war immer enorm angespannt, konnte schon Tage davor nicht mehr richtig schlafen, denn ich wusste, dass ich an meine absolute Leistungsgrenze gehen muss, und hatte Angst vor dem Schmerz.

Und oftmals hing von einem Test vieles ab: Er gab meinen Trainern die Antwort darauf, wie ich mich entwickelt und trainiert habe. Wenn irgendetwas an dem Wettkampftag nicht passte und meine gefahrene Zeit nicht ausreichte, war der Platz im Vierer, für den ich im Winter monatelang trainiert hatte, erst einmal dahin. Denn der „Ergowert“ ist eine wichtige Säule bei der Selektion für die Bootsbesetzung.

Mittlerweile starte ich im Hamburger Frauenachter, dem „Alstersprinter“, in der Ruderbundesliga. Die Besonderheit: Die Rennen werden auf einer Sprintdistanz von 350 Metern ausgetragen. Dafür trainieren wir fünf mal in der Woche – ambitionierter Breitensport nennt sich das beim Rudern.

Weiter geblieben ist das Ergo als mein treuer Begleiter neben dem Ruderboot. Wenn es das Wetter nicht zulässt, dass wir draußen rudern, werden die Wassereinheiten aufs Ergo verlegt. Im Winter sind das dann vor allem lange Ausdauereinheiten. Mindestens einmal die Woche stehen auch Intervalle auf dem Plan, zuletzt 15 mal 30 Sekunden Vollgas. Nach dem neunten oder zehnten Intervall wird auch das unerträglich – die Pausen sind so kurz, dass ich das Display vor Anstrengung nur verschwommen sehe, wenn die nächsten 30 Sekunden beginnen.

Die richtige Musik, laut genug, und möglichst viele aus meinem Team, die sich neben mir quälen, helfen dabei, die Einheiten jedes Mal zu schaffen – alles, um die eigene Bestzeit auf dem Ergo im nächsten Test um wenige Sekunden zu verbessern und so hoffentlich einen Platz im Achter zu bekommen.

Paula Bäurich, 21, hat in Otterndorf Rudern als Leistungssport betrieben und rudert jetzt im Hamburger und Germania Ruderclub.

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