ANGELA MERKEL UND NICOLAS SARKOZY SUCHEN EIN NEUES EUROPA
: Die Internationale der Konservativen

Außenpolitik im Wahlkampf hat es seit Willy Brandt und dem Streit über die Ostverträge nicht mehr gegeben. Deutsche Wahlkämpfe werden in der Regel über innenpolitische Themen geführt, bei internationalen Fragen pflegt jede neue Regierung die Kontinuität zu betonen. Diesmal aber ist es völlig anders. Bei ihrer gestrigen Parisvisite zeigte sich die deutsche Oppositionsführerin Angela Merkel zwar zu einem Höflichkeitsbesuch beim angeschlagenen Präsidenten Jacques Chirac. Doch ließ sie keinen Zweifel, dass ihre Sympathien keineswegs dem Amigo Gerhard Schröders gelten, sondern dessen schärfstem Kontrahenten, dem konservativen Parteiführer Nicolas Sarkozy.

Unter überzeugten Europäern galt die Vorstellung lange Zeit als Schreckgespenst, dass der Kontinent dereinst vom Trio der Antieuropäer Tony Blair, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy dominiert werden könnte. Seit aber die alte Europapolitik à la Schröder und Chirac mit den durchgefallenen Verfassungsreferenden so krachend gescheitert ist, hat sich die Stimmung vollständig gedreht. Blairs Vorstoß für einen radikalen Abbau der Agrarsubventionen findet beispielsweise allgemeinen Beifall. Chirac steht plötzlich nicht mehr als Bewahrer Europas da, sondern nur noch als Lobbyist der französischen Bauern.

Auch die Attacke, die der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger pünktlich zu Merkels Parisbesuch gegen die Russlandpolitik des Duos Schröder-Chirac ritt, trifft einen richtigen Punkt. Wenn die Ostdeutsche Merkel bei aller Pflege der deutsch-russischen Beziehungen mehr Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Beitrittsländer nimmt, kann das Europa nur gut tun.

Bleibt als Leidtragende die Türkei. Selbst wenn es am 3. Oktober wie geplant zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen kommt, wird dieser Prozess unter der Ägide der neuen Konservativen gewiss keine Fortschritte machen. Dass aber die Europapolitik überhaupt zum Wahlkampfthema wird, ist vielleicht auch ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass es längst so etwas wie eine europäische Innenpolitik gibt – und damit ein Maß an Integration, das sich nicht mehr zurückdrehen lässt.RALPH BOLLMANN