PIMMEL AM ARSCH: Meese im Viertel
In der Graefestraße ist Geschrei zu vernehmen, das langsam näher kommt. Eine große, etwas ältere Frau mit Fahrradhelm tapst unsicheren Schrittes auf mich und Mister Fup zu. Sie leidet offenbar an einem Tourette-Syndrom, trompetet viele schmutzige Wörter hinaus, die aber meistens gar nicht zusammenpassen.
Vor Fup bleibt sie stehen und fragt: „Hat deene Mutter ’n Pimmel am Arsch?“ Fup sagt nichts. Er starrt sie nur an. Ich achte darauf, dass sie außer Herumkrakeelen nichts macht. Macht sie auch nicht. Sie schreit noch einmal: „Wat is, kleener Mann? Hat deene Mutter ’n Pimmel am Arsch?“ Da ich die Frage genauso wenig wie Fup verstehe, kann ich genauso wenig wie Fup etwas darauf erwidern. Außerdem will ich mich lieber nicht in eine Diskussion verwickeln lassen, nicht mit einer offenbar Verrückten und schon gar nicht über ein solches Thema, bei dem ich gar nicht weiß, ob es überhaupt ein Thema ist.
Als Fup immer noch keine Antwort gibt auf ihre Frage und sie nur mit großen Augen ansieht und dabei Eis schleckt, setzt die große Frau ihren Weg fort. Sie tourettet dabei munter weiter: „Arschwichser! Ichversaute Typen! Leberwurstwichser!“ Sie geht in einen kleinen Frauenklamottenladen. Gut, dass ich da nicht gerade einkaufen muss. Eine Kundin verdreht die Augen und flüchtet aus dem Laden. Fup und ich gehen weiter. Fup sagt immer noch nichts. An irgendjemand erinnert mich die Frau, aber ich weiß nicht, an wen.
Zu Hause lese ich ein Gespräch mit Jonathan Meese im Spiegel. Jetzt weiß ich, an wen mich die große Frau mit dem Fahrradhelm erinnert. Und sie sieht auch ein wenig so aus wie Jonathan Meese, nur ohne Bart. Aber den könnte sie sich auch abrasiert haben, um nicht gleich erkannt zu werden. Und auch der Fahrradhelm könnte Tarnung sein. Kommt jetzt nach Murakami auch noch Jonathan Meese hier ins Viertel? KLAUS BITTERMANN
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