„Stolz, Briten zu sein“

Mit einer Dialogoffensive versucht die britische Regierung, junge Muslime dort abzuholen, wo sie politisch stehen

AUS LONDON RALF SOTSCHECK

Tony Blair hat Großbritanniens Muslime um Hilfe im Kampf gegen den Terror gebeten. Der britische Premier lud gestern mehr als 50 Muslime in seinen Amtssitz in der Downing Street ein, darunter vier Abgeordnete, fünf Lords, den Muslimischen Rat von Großbritannien sowie eine Reihe von Geschäftsleuten. Michael Howard und Charles Kennedy, die Chefs der beiden größten Oppositionsparteien, nahmen ebenfalls teil.

Ein konkretes Ergebnis, das bei dem Treffen herauskam, ist die Einrichtung einer Task-Force, die mit jungen Muslimen reden und sie mit der „Ideologie des Bösen“ konfrontieren soll, sagte Blair. Die Task-Force werde zwar auf lokaler Ebene arbeiten, aber eng mit Politikern und Sicherheitskräften zusammenarbeiten. Das Treffen soll der Beginn eines ständigen Dialogs sein, um herauszufinden, was die muslimische Führung tun kann, um „junge Muslime vor dem Einfluss der Extremisten“ zu schützen, sagte Blair. Tory-Chef Howard sagte, die Muslim-Führer seien verpflichtet, sich um die zu kümmern, die unter den Einfluss von Extremisten geraten könnten. „Man muss mehr unternehmen, damit sie stolz darauf sind, Briten zu sein“, sagte Howard.

In der letzten halben Stunde stieß der afghanische Präsident Hamid Karsai zu dem Treffen. Er sagte, die Afghanen verstünden sehr gut, was die Briten nach den Anschlägen durchmachen: „Wir haben lange vor euch diese schmerzhaften Erfahrungen machen müssen.“ Zahlreiche Labour-Abgeordnete kritisierten Blair dafür, dass er nur die moderaten Vertreter des Islam in Großbritannien eingeladen habe. Der Muslimische Rat vertrete lediglich die ältere Generation und genieße wenig Ansehen in den muslimischen Vierteln, sagte einer von ihnen. „Abgeordnete, Lords und erfolgreiche Geschäftsleute wissen doch gar nicht, wie es ist, in den muslimischen Vierteln in London oder Leeds zu leben“, fügte er hinzu. „Wenn man nicht nur die moderaten Muslime erreichen will, muss man auch extremere Organisationen wie die Muslim Association of Britain einladen.“ Azzam Tamimi, der Sprecher dieser Organisation, sagte, die muslimische Gemeinde werde nicht schweigend für die Anschläge leiden. „Wir sind nicht verantwortlich dafür, was am 7. Juli passiert ist“, sagte er. „Wir haben diese Jungs nicht wütend gemacht, wir haben den Irak nicht bombardiert, wir sperren niemanden in Guantanamo Bay ein, und wir haben nichts mit Abu Ghraib zu tun. Ihr Politiker, seht euch an, was ihr der Welt angetan habt.“

Blair und sein Kabinett, das weitere 20 Millionen Pfund für die Opfer der Anschläge und zur Terrorbekämpfung bereitgestellt hat, verlangen dagegen von den muslimischen Führern, dass sie denen entgegentreten, die eine Verbindung zwischen der britischen Außenpolitik und den Anschlägen von London herstellen. Zwei Drittel der Bevölkerung sehen jedoch genau diesen Zusammenhang. Das ergab gestern eine Umfrage des Guardian. Demnach rechnen 75 Prozent der Befragten mit weiteren Anschlägen in Großbritannien.

Das könne auch eine Fatwa nicht verhindern, glauben die Briten. Diese Fatwa, die über 500 muslimische Religionsvertreter und Gelehrte aus Großbritannien am Montag verhängten, ist eher eine Geste als eine wirksame Waffe gegen den Terrorismus. Die moderaten Muslime verurteilen in ihrem Rechtsgutachten die Gewalt: „Die Ermordung eines einzigen Menschen kommt der Ermordung der gesamten Menschheit gleich“, sagte Gul Mohammad, Vorsitzender des Britischen Muslim-Forums. Die Fatwa soll am Freitag in allen Moscheen des Landes verlesen werden.

Der Rat der Sunniten hatte bereits am Sonntag eine Fatwa verhängt. „Was in London geschehen ist, muss als Sakrileg eingestuft werden“, sagte der Vorsitzende des Rates, Mufti Muhammad Gul Rehman Qadri, und sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Die letzten der 56 Opfer wurden erst gestern identifiziert.