ALTE UND NEUE BERLINER
: Unser Harald Juhnke

Was in Gottes Namen, fragt er, ist eine Pulle?

Wir haben uns in der Küche zusammengerottet. Jens feiert seinen Geburtstag. Er wird 40. Er hat sich von seiner Frau getrennt und von uns gefordert, dass wir unsere, sofern wir eine haben, nicht mitbringen. Da stehen wir nun: ein Haufen Typen, alle zwischen 30 und 50, die typische DVD-Käufer-Schicht. Leicht angeödet sind wir, eine Party ohne Frauen, herrje, das wird kein großes Vergnügen. Zum Rauchen müssen wir uns aus dem Küchenfenster lehnen. Aus dem 4. Stock dieses abgewrackten Hinterhofhauses sieht man unten vorbeihuschende Ratten.

Das Bier, umgeben von zerstoßenem Eis, ruht in einer großen Plastikwanne, die auf der Waschmaschine steht. Ich bitte den Langhaarigen, der an ihr lehnt, um eine Pulle. Was in Gottes Namen, fragt er, ist eine Pulle? Was soll man auch machen als Zugezogener: Man versteht die Leute nicht, wird nicht richtig verstanden, hat Aufkleber lesen müssen, auf denen stand: „Wir sind das Volk und ihr nicht“, und fand es nicht mal ein bisschen lustig. Man kommt aufs Verrecken nicht dahinter, warum Zweibeiner wie Harald Juhnke oder Helga Hahnemann personifizierte Aushängeschilder waren.

Aber das Allerschlimmste sind die stetig wiederkehrenden Erklärungen anderer Zugezogener, die seit mindestens zehn Jahren in der Stadt leben, dass man den Vollberliner-Status erst nach sieben Jahren erreichen würde. Ich bin Ureinwohner, durch meine Leitungen pumpt 100 Prozent reines Berlin. Ich höre mir das an, sage nie etwas dazu und denke jedes Mal: Wen kümmert’s, scheiß die Ratte drauf. Doch würde es zu Krawallen kommen, riefe ich: Euch die Dorfstraßen und uns Harald Juhnke. So bekommt jeder, was ihm zusteht. „Ne Pulle is ne Flasche – dit is rudimentäres Wissen, allet klar!“ Er nickt. Dann singen wir Happy Birthday, lieber Jens. Es kommt von Herzen, aber es hört sich wirklich mies an. BJÖRN KUHLIGK