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Rührende Verbundenheit

Beim Alleinkochen bilden manche Rezepte eine Wärmebrücke zu gemeinsam verbrachten Abenden

Im Lockdown light fängt das große Kochen wieder an. Es wird eingelegt, fermentiert und dünn ausgerollt. Während in anderen Küche gezaubert wird, koche ich mal mehr, mal weniger gerne. Und mit der zunehmenden Dauer der sozialen Einschränkungen ändert sich meine Einstellung: Ich nehme mir Zeit zum Kochen. Lerne, nur für mich zu kochen, ohne mich allein zu fühlen. Dabei helfen gute Rezepte und die warme Erinnerung an die Menschen, für die ich sie gekocht habe. Eines besonders: rote Bete und Perlgraupen in Brühe und Rotwein. Mal als Bete Bourguignon, für die man Beten und Pastinaken in großen Stücken mit geschmorten Zwiebeln, Knoblauch, Tomatenmark, Kräutern und wenigen Graupen gart; mal als Perlgraupenrisotto mit Feta und Petersilie.

Die rote Bete in rotem Wein habe ich zum ersten Mal an Silvester letzten Jahres gekocht. Der Tisch bog sich vor Essen, der Eintopf glänzte leicht rosa und schmeckte nach Rotwein, Lorbeer und Thymian. Im Wohnzimmer wurde getanzt – Szenen, an die ich mich jedes Mal erinnere, auch wenn ich das Gericht nur für mich koche. Verbundenheit entsteht auch mit denjenigen, die ihre Kochtricks gezeigt haben: Wie Ari diesen Thunfischdip macht und Jay den Tofu-Stew. Leo schmort Rosenkohl mit Apfel, Anna gibt Milch zum Mangold. Ich imitiere Lisas Focaccia und Lenas Wirsinglasagne.

Die in den USA lebende Autorin Shen Lu schrieb neulich in ihrem Blog, ihre Kochroutinen seien Freiraum. In Zeiten, in denen sie sich hilf- und tatenlos fühlt, genießt sie das beruhigende Schneiden und Schälen, das Mischen und Fusionieren. Essen und seine Zubereitung sind ein schöner Anlass, sich mit der Familie in China auszutauschen, zu verbinden.

Letzteres ist begrenzt übertragbar. Meine Mutter verabscheut das Reden über Rezepte. Ihr Magen zieht sich zusammen, sobald Freundinnen sie fragen: „Oh lecker, wie hast du das gemacht?“ Kochen ist für sie ein zu stereotypes Thema. Das Austauschen von Rezepten schickt sie in die Küche und macht sie zur Hausfrau. Meine Generation Y muss sich auf den ersten Blick nicht mehr so stark gegen diese stereotype, heteronormative Figur wehren und kann stattdessen das Rezepteteilen als transkulturellen Wissensaustausch schätzen. Auf den zweiten Blick ist Hausarbeit auch heute noch sehr ungleich verteilt, und gerade die Coronakrise zeigt, wie fragil emanzipatorische Errungenschaften sind. So rühre ich in der roten Bete, nur scheinbar frei von heteronormativen Zwängen, und doch kann ich den Moment für mich allein genießen: Im Kochen fühle ich mich den Freund*innen nah, mit denen ich dieses manchmal einsame Jahr so innig begonnen hatte. Freia Kuper