Osman Engin Die Corona-Chroniken: Maskentausch leicht gemacht
Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
In diesem Winter bekomme ich regelrecht Wahnvorstellungen. Ich fühle mich ständig verfolgt! Aber nicht von dunklen Mächten wie der CIA, dem KGB oder dem BND, sondern von diesen rücksichtslosen Kreaturen, die unaufhörlich husten, niesen, rotzen und spucken, um ihre Coronaviren in die Welt hinauszuschießen.
Wenn ich Brötchen kaufen gehe, niest die Verkäuferin erst mal mit viel Lärm quer über die Theke, sodass ich mich spontan für das in Folie eingepackte Brot entscheiden muss. Gehe ich mal zum türkischen Imbiss, um Döner zu holen, höre ich lautes Gehuste aus der Küche, und suche sofort das Weite. Ich sehe nicht ein, dass ich für Döner mit Corona-Soße auch noch blechen soll.
Von meiner Frau erwarte ich selbstverständlich, dass sie zu Hause immer Mundschutz trägt. Sie wehrt sich vehement dagegen, das ganze Jahr über mit Mundschutz rumzulaufen.
„Osman, du Memme, du nervst mich hier nur. Heute ist Markttag, geh bitte einkaufen“, brüllt sie mir ins Gesicht – und das ohne Mundschutz!
Sie hat natürlich leicht reden, weil die Frauen von sämtlichen Krankheiten viel bevorzugter behandelt werden als die Männer. Für sie hat die Natur immer eine harmlosere Variante parat. Wie zum Beispiel bei der tödlichen Männergrippe auch.
Wenn sich die Frauen mit Grippe anstecken, passiert ihnen gar nichts. Sie können weiterhin munter hin- und herlaufen, stundenlang kochen, putzen, waschen und von morgens bis abends problemlos die Kinder versorgen. Wenn sich die Männer anstecken, müssen sie mit verschiedenen Medikamenten und dem leckersten Essen wochenlang aufgepäppelt werden.
Als ich auf dem Wochenmarkt ankomme, sehe ich total fassungslos, wie die ganzen Tomaten, Gurken, Paprika und Äpfel von Tausenden von Menschen angetatscht werden und die fiesen Coronaviren vor Begeisterung förmlich jubeln! Die fasse ich nicht mal mehr an, geschweige denn, dass ich sie esse.
Völlig genervt springe ich in den Bus, um wieder nach Hause zu fahren.
Bei Allah, der Bus ist proppenvoll! Und das in dieser höchst gefährlichen Coronazeit. Die Menschen stehen dicht an dicht, Nase an Nase. Offensichtlich probiert die Regierung jetzt mit der Herdenimmunität.
Zu Hause schimpft meine Frau, weil ich nichts eingekauft habe.
„Ich konnte nicht einkaufen, ohne Leib und Leben zu riskieren“, sage ich.
„Aber dir einen neuen Mundschutz kaufen, schon“, zischt sie.
„Bei Allah, das ist nicht mein Mundschutz! Den hab ich wohl bei dem Gedränge im Bus mit dem Nebenmann vertauscht. Wir standen Nase an Nase“, schimpfe ich.
„Na ja, Glück im Unglück“, lacht sie. „Ohne deinen Mundschutz hättest du wohl deine dritten Zähne getauscht, und das wäre uns viel teurer gekommen.“
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