berliner szenen: Die Gruftis und der Polizeihund
Es ist Heilig Abend und wie das so ist, muss ich gegen 17 Uhr noch ein Geschenk von einer Freundin für die Kinder holen. Kein Problem, denke ich. Das schaffe ich in einer halben Stunde, wenn ich mich beeile. Ich hetze also zum S-Bahnhof Schöneberg. Während ich auf die S-Bahn warte, antworte ich den Kindern, ja, sie könnten den Rotkohl schon mal probieren, aber bitte nicht alles aufessen. Neben mir auf dem Bahnsteig steht ein seltsames Pärchen mit einem schwarzen Kinderwagen. Die beiden sind groß und dünn, beide in schwarzen Mänteln, die ihre Länge noch betonen. Sie stehen einfach so da, sprechen kein Wort und sehen in den Kinderwagen. Manchmal blickt die Frau zu mir, dann sehe ich schnell weg oder wieder auf mein Handy. Die S-Bahn kommt und ich setze mich einem Mann mit einem dösenden Hund schräg gegenüber.
Das seltsame Paar steigt eine Tür weiter hinten ein und läuft nun durch den gesamten Waggon nach vorn. Als uns die beiden näher kommen, öffnet der Hund zu den Füßen des Mannes ein Auge. Er winselt. Dann springt er auf und bellt das Paar an. Er bellt und knurrt, springt hoch, reißt und zerrt an der Leine, sodass sein Herrchen Mühe hat, ihn festzuhalten. Mir ist der Hund langsam unheimlich. Das Pärchen aber geht unbeeindruckt weiter und stellt sich an die vordere Tür. Ihre Bewegungen sind starr. Der Hund ist eine ganze Station lang kaum zu bändigen und regt sich wahnsinnig auf. Sein Herrchen guckt etwas genervt. Als das Pärchen aussteigt, ist der Hund sofort ruhig, legt sich hin und schließt wieder die Augen.
Sein Herrchen stöhnt. Unsere Blicke treffen sich. „Alter Polizeihund“, sagt er. „Jetzt echt?“, frage ich. Der Mann nickt: „Die zwei da eben machen sich wohl’nen schönen Abend mit dem Kinderwagen.“ Er steht auf und sagt: „Na denn, noch ein frohes Fest.“ Isobel Markus
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