Der linke Haken

Wie viel steckt eine Partei ein, die Erfolg haben will? Die Berliner WASG jedenfalls ist bereit, so manche Demütigung durch die übermächtige PDS zu erdulden. Ein Besuch auf dem Parteitag

von MATTHIAS LOHRE

Es hätte auch ein entspannter Landesparteitag werden können. Kinder spielen Fangen zwischen den engen Sitzreihen. Im Meditationsraum des Schöneberger Akazienhofs ist am Dienstagabend zwar wenig Platz, und dieses eine Dachfenster lässt sich partout nicht öffnen. Aber die Enge im völlig überfüllten und stickigen Keller ist es nicht, die die rund 300 anwesenden WASG-Mitglieder entnervt. Männer mit tätowierten Armen sitzen einträchtig neben weißhaarigen Damen in den 60ern. Punk-Frauen mit Nickelbrillen versuchen, übergewichtigen Männern in nichts verheimlichenden T-Shirts nicht im Weg zu stehen. Und die Dame in der smaragdgrünen Glitzerweste und den dazu passenden Schuhen findet auch noch einen Sitzplatz.

Frustriert sind die Mitglieder der „Wahlalternative“ über die brüske Ankündigung von PDS-Landeschef Stefan Liebich. Er hat nur wenige Stunden vor dem Treffen erklärt, dass er auch auf den wenig aussichtsreichen Landeslistenplätzen 6 und 7 Parteimitglieder aufstellen wolle. Statt eines symbolischen Entgegenkommens des mächtigen Bündnispartners in spe bekommen die WASGler einen symbolischen linken Haken ins Gesicht.

Fast jeder, der sich durch die engen Reihen nach vorn gedrängt hat und das einzige Mikrofon im Raum in Händen hält, spricht deswegen mehr von der PDS als von der eigenen Partei. „Ich kann nicht mit einer PDS zusammenarbeiten, die uns jetzt schon über den Tisch zieht“, ruft ein Mann in den Saal. Helge Meves, Ex-Landesvorstand aus Mitte, assistiert mit Blick auf die PDS-Listenplätze: „Wenn diese Listenplätze uns vorenthalten werden, dann müssen wir uns dagegen wehren.“

Doch was wie Empörung klingen soll, hört sich bei den meisten RednerInnen eher an wie Resignation. Sie wissen: Sie können es sich nicht leisten, die große Chance auf den Einzug in den Bundestag zu verpassen. Aber was sind sie bereit, dafür zu erdulden? Ein Redner klagt: „Wir müssen einfordern, dass Stefan Liebich mit uns verhandelt.“ Aber selbst das ist nicht selbstverständlich. Hat sich die hiesige „Wahlalternative“ doch als wütende Reaktion auf die als neoliberal empfundene Senatspolitik der PDS geformt. In den Klappstuhlreihen sitzen etliche Ex-PDSlerInnen und Gewerkschaftsmitglieder. Bei allem Frust und trotz der knappen Zeit („Wir müssen um 22 Uhr hier raus sein!“) wird schnell klar: Fast alle im Raum wollen die Zusammenarbeit. Danach wird man schon sehen.

Das Ex-Vorstandsmitglied Lucia Schnell gibt dabei lautstark die Richtung vor: „Im Moment ist es so, dass die Herrschenden absolut Panik schieben“, ruft sie in den kleinen Saal. Das müsse die WASG nutzen und schwelenden Streit hintanstellen. „Auf der Basis eines gemeinsamen Bündnisses kann man sich über alles mögliche streiten.“ Und dabei nicht vergessen, „wer der Feind ist“, nämlich SPD, Grüne, FDP und CDU.

Jan Maas, junger Bezirksvorstand aus Neukölln, ruft in seinen zwei Minuten am Mikrofon dazu auf, „auf die PDS zuzugehen“. Doch wie soll das aussehen bei einer Partei, die nicht einmal direkt mit der Berliner WASG verhandeln will, sondern die Bundespartei die meisten Gespräche führen lässt? In der kommenden Woche soll das erst dritte Treffen beider Seiten stattfinden.

Hinzu kommt noch ein ganz anderes Problem. Die „Wahlalternative“ protestiert gegen die Aufstellung des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Deutschlands, Hakki Keskin, auf Platz 4 der PDS-Landesliste. WASG-VertreterInnen werfen ihm auch an diesem Abend vor, „nationalistische Politik“ zu betreiben und den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs zu leugnen. Praktischerweise verlangen die WASGlerInnen nun genau diesen – aussichtsreichen – Listenplatz 4 für sich.

Doch für die Vorstellung und Wahl von fünf KandidatInnen, die man der PDS nun „vorschlagen“ will, ist dann keine Zeit mehr. Obwohl die Nummer eins der WASG-Liste, das Ex-PDS-Mitglied Renate Herranen, schon vor einem Monat gekürt worden ist, nominieren die Anwesenden in der Eile nur noch die Vorschlagslistenplätze zwei und drei. Was mit diesen Angeboten passiert, werden nicht sie entscheiden, sondern die Delegierten auf dem PDS-Landesparteitag Anfang August. Auf Platz zwei kommt das Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Ralf Krämer. Per Handzeichen stellen die WASGler Christine Buchholz vom Bundesvorstand für Platz 3 auf. Dann ist es 22 Uhr, und alle müssen raus. Ob sie die Plätze 4 und 5 noch benennen werden, wissen sie selbst nicht. Ein Vorstandsmitglied sagt beiläufig: „Das ist ja doch sehr aussichtslos.“