Europaweiter Emissionshandel in Gefahr

KLIMASCHUTZ Ein Urteil des EU-Gerichts zugunsten von Polen und Estland entmachtet die EU-Kommission

BERLIN taz | Ein Urteil des EU-Gerichts im Streit um den Emissionshandel kann nach Expertenmeinung dramatische Auswirkungen auf die Wirkungsweise des Instruments haben. In der vergangenen Woche hatten Polen und Estland einen Sieg gegen die EU-Kommission errungen.

Die Frage war, ob die Kommission den Staaten der Europäischen Union vorschreiben darf, wie viel Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) sie ihrer Industrie im Rahmen des Emissionshandels erlauben dürfen. Vor zwei Jahren hatte die Kommission die nationalen Pläne für die Zuteilung der Zertifikate für die zweite Handelsperiode von 2008 bis 2012 zusammengekürzt. Sie bezweifelte den angemeldeten Bedarf und sprach Polen 27 Prozent und Estland 48 Prozent weniger Verschmutzungsrechte zu. Nach Ansicht der Richter überschritt sie damit ihre Kompetenz. Die Kommission will in Revision gehen.

Beim Emissionshandel gibt der Staat Verschmutzungsrechte in einem bestimmten Umfang an Industrieunternehmen aus. Wer mehr CO2 ausstößt, als seine Zertifikate abdecken, muss welche hinzukaufen. Wer weniger emittiert, kann verkaufen. Polen und Estland könnten nun mehr Zertifikate ausgeben.

„Das Urteil verwässert den Emissionshandel“, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Tendenziell verfielen die Preise, wenn mehr Zertifikate auf den Markt kommen. „Wir brauchen aber stabile Preise, damit die Unternehmen Planungssicherheit bekommen.“ Unmittelbar nach dem Urteil gab der Marktpreis um fast 4 Prozent auf 13,20 Euro pro Tonne CO2 nach.

Auch Umweltverbände sehen das Urteil kritisch. „Das ist ein sehr, sehr großes Problem“, sagt EU-Expertin Sonja Meister vom BUND. „Einige Länder versuchen, ihre eigene Industrie zu begünstigen. Und die EU-Kommission hat kein Mittel, um ihnen etwas entgegenzusetzen.“ Wenn die Preise zu stark sinken, bestehe kein Anreiz mehr, CO2-reduzierende Maßnahmen zu ergreifen. NADINE MICHEL