Piratenpartei siegt mit Protestcharme

NETZWELT Die Fünfprozenthürde hat die Piratenpartei nicht geknackt, Twitter meldet ersten Prognosen zufolge immerhin zwei Prozent. Aber dennoch feiert sie die Wahl als einen Erfolg

Ihr Vorteil: Sie wissen die neuen Medien- und Kommunikationsformen optimal zu nutzen

AUS BERLIN FELIX LEE UND JULIA SEELIGER

Es hätte ein quälend langer Wahlabend für die Piratenpartei werden können. Denn anders als bei den großen Parteien tauchten ihre Ergebnisse weder in der 18-Uhr-Umfrage der großen Sendeanstalten auf, noch in den ersten Hochrechnungen. Doch um Punkt 18.08 Uhr erschien auf der großen Leinwand bei der Wahlfeier im Astra-Kulturhaus, einem ehemals von Künstlern besetzten Fabrikgelände mitten im Berliner Szeneviertel Friedrichshain, dann doch ein erstes Ergebnis. Piratenpartei: 2 Prozent. Über Twitter. Die Fünfprozenthürde haben sie mit diesem Ergebnis zwar nicht geknackt und damit sind sie nicht im Bundestag vertreten. Einen Achtungserfolg haben sie aber dennoch erzielt.

Vier turbulente Monate hat die Piratenpartei hinter sich. Nachdem das schwedische Pendant bei der Europawahl im Juni völlig unerwartet 7,4 Prozent der Stimmen auf sich verbuchen konnte und seitdem mit einem eigenen Abgeordneten im Straßburger Parlament vertreten ist, schaut auch die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam, was sich politisch in der Netzwelt formiert. Im Februar hatte die 2006 gegründete Partei noch 870 Mitglieder. Rechtzeitig zur Bundestagswahl dürften sie die 10.000er Marke geknackt haben.

Der Erfolg der Piratenpartei ist unmittelbar mit der Person Ursula von der Leyen verbunden. Die Bundesfamilienministerin und CDU-Politikerin, in der Netzwelt auch als „Zensurula“ verschrien, hatte offensichtlich unterschätzt und tut es wahrscheinlich noch immer, für wie viel Aufregung ihr Gesetz zur Sperrung von Kinderpornografie im Internet sorgen würde. Zeitgleich zum Gesetzgebungsverfahren im Bundestag entstand eine Protestbewegung, die jedoch nicht wie von Politikern bisher gewohnt so sehr auf der Straße sichtbar war, sondern vor allem im Netz: Junge, Internetaffine Menschen, die erkannten, dass es bei dem Leyenschen Gesetz um mehr als die Bekämpfung von Kinderpornografie handelt. Die zumeist jungen Menschen sehen das Grundrecht auf Informationsfreiheit verletzt und sprechen gar von Zensur.

Aber auch die anderen etablierten Parteien haben den wachsenden Unmut verschlafen. Gerade die kleinen Parteien hätten ihren Job im Bundestag nicht erledigt, sagt Netzaktivist Markus Beckedahl, der selbst ein Grüner ist. Das habe viele vor allem junge Menschen enttäuscht und zur Piratenpartei getrieben. Dabei hätten ihre Protagonisten relativ wenig zur Debatte beigetragen.

Auch Parteienforscher erklären sich den explosionsartigen Zuwachs der Piraten vor allem mit dem Versäumnis der etablierten Parteien. Keine der Parteien habe bisher eine große Affinität zur Netzpolitik entwickelt, „zu diesem Freiheitsraum online, für den sich diese Gruppierung sich einsetzt“, sagt Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Er spricht von „Protestcharme“ – fügt jedoch zugleich hinzu, dass Datenschutz im Internet und die Einschränkung des Surfens noch keineswegs ein Großthema in allen Bevölkerungsschichten sei.

Dennoch spricht einiges für den Fortbestand der Internet-Partei auch nach der Bundestagswahl. Denn selbst wenn sie bislang vor allem lediglich mit netzaffinen Themen auf sich aufmerksam gemacht haben und in den meisten anderen Bereichen zu keiner Position gefunden haben – ihr politischer Meinungsbildungsprozess ist rasant. Ihr Vorteil: Sie wissen die neuen Medien- und Kommunikationsformen optimal zu nutzen. Und das in einer Geschwindigkeit, wovon die etablierten Volksparteien mit ihren schier endlos erscheinenden Änderungsdebatten und Sonderparteitagen nur träumen können. So hatten vor drei Wochen zwei Piraten des Berliner Landesverbands spontan die Idee, dass die Piratenpartei nicht nur mit Protest den Endspurt ihres Wahlkampfs bestreiten sollte, sondern unmittelbar mit konkreten Vorschlägen kommen sollte. Nicht weniger als einen Internet-Minister forderten sie, der sich für eine wirklich flächendeckende Vernetzung einsetzen und auch Hartz-IV-Empfängern, Rentnern und Behinderten einen Internetzugang verschaffen soll. Absurd? Mitnichten. Es würde nicht verwundern, wenn bereits die nächste Bundesregierung speziell einen Staatssekretär für die Onlinewelt abstempelt. Und auf dieser Ebene wird sich wohl auch in Zukunft ihr politischer Gestaltungsspielraum bewegen. In Schweden haben die etablierten Parteien aus Angst vor der Piraten-Konkurrenz bereits die Ratifizierung der Vorratsdatenspeicherung verschoben.