Gewerkschafter müssen selber wählen

DGB-Chefin Engelen-Kefer spricht keine Wahlempfehlung für die SPD aus. Nur auf die Bürgerversicherung kann sie sich mit SPD und Grünen einigen. Bei der Union gibt’s aber auch sozialpolitische „Ansatzpunkte“. Kein Kommentar auch zur Linkspartei

VON ULRIKE WINKELMANN

Das war keine Wahlempfehlung. Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer, nannte gestern Übereinstimmungen oder „Berührungspunkte“ sowohl mit SPD, den Grünen und der Union.

Doch welche Partei der DGB zur Bundestagswahl zu wählen empfiehlt, sagte sie nicht. Stattdessen wiederholte sie: „Wir haben nach wie vor erhebliche Kritik an den Sozialreformen der vergangenen Jahre. Aber dieser Prozess hält seit 15 Jahren an.“ Damit dürfen sich Schwarz-Gelb wie Rot-Grün gemeint fühlen. Am Dienstag erst war der wichtigste Arbeitgeberverband BDI weit deutlicher geworden: Er befürwortete die FDP, mit Abstrichen auch die Union.

Engelen-Kefer nannte gestern drei Hauptforderungen des DGB an eine künftige Sozialpolitik: Die Solidarität der sozialen Sicherungssysteme müsse gestärkt werden – auch wenn „der Begriff so abgelutscht ist wie nur sonst was“, wie sie hinzufügte. Der Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung müsse gestoppt werden. An Qualität und Effizienz der Leistungen müsse gearbeitet werden.

In der Gesundheitspolitik „befürworten die Gewerkschaften eine echte Bürgerversicherung“, erklärte Engelen-Kefer. Das DGB-Modell einer auf alle Bürger und auf Kapitaleinkünfte ausgedehnten Krankenversicherung entspricht dem der SPD. Die Betonung auf dem Wort „echt“ fiel zusammen mit der Forderung, die hälftige Mitfinanzierung durch die Arbeitgeber zu erhalten: Hier sehen die Gewerkschaften die Bürgerversicherungs-Fans offenbar wanken. Grundsätzlich aber ist die Bürgerversicherung der wichtigste gemeinsame Programmpunkt von SPD, Grünen und Gewerkschaften.

Die Unions-Kopfpauschale lehnen die Gewerkschaften ab, weil sie Menschen mit bis zu 1.500 Euro Monatseinkommen zusätzlich belaste, alle, die mehr verdienen, aber entlaste. Doch versäumte Engelen-Kefer gestern nicht, mehrfach die Position der Union zur Qualitätsverbesserung medizinischer Leistungen als „Ansatzpunkt“ zu loben. Auch den „breiten politischen Konsens zwischen SPD, Grünen und Union“ zur Verbesserung der Pflegeversicherung, insbesondere für Demenz-Erkrankte, „begrüßte“ sie.

In der Rente, erklärte Engelen-Kefer, hätten die Reformen der vergangenen 15 Jahre die „Schmerzgrenze“ vieler Rentner „überschritten“. Es dürfe keine weiteren Rentenkürzungen geben. Stattdessen müsse die gesetzliche Rentenversicherung gestärkt und schrittweise zu einer Erwerbstätigenversicherung ausgebaut werden. Das Prinzip heißt hier wie bei der Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege: Auch bislang nicht sozialversicherte Berufsgruppen sollen beitreten. Den 50-Euro-Kinderbonus, mit dem die Union Eltern im Rentensystem entlasten will, „begrüßte“ die DGB-Chefin wiederum. Die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, die von SPD wie Union verfolgt wird, lehnte sie strikt ab.

Engelen-Kefer ließ sich gestern nicht dazu bewegen, einen Zusammenhang zwischen Gewerkschaftsforderungen und den Vorstellungen der neuen Linkspartei herzustellen. Auch diese hat zum Beispiel die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bereits kritisiert.

„Ich äußere mich nicht zu dem, was da und dort von diesem oder jenem gesagt wird“, erklärte hingegen Engelen-Kefer. Sie warte auf das Wahlprogramm, das die Linkspartei erst Ende August verabschieden will.

Den Umstand, dass recht prominente Gewerkschaftsvertreter wie der Ver.di-Chefvolkswirt Michael Schlecht der Linkspartei beitreten wollen, kommentierte Engelen-Kefer ebenfalls nicht. „Wir sind eine Einheitsgewerkschaft“, sagte sie. „Wir machen unseren Mitgliedern keine Vorschriften, in welche der legitimierten Parteien sie gehen.“

meinung und diskussion SEITE 11