„So schlimm wie bei Schill“

EINHEITSLISTE Hamburgs Parteien suchen verstärkt die Kooperation statt Konfrontation. Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan im taz-Interview über die Konsenssucht im Rathaus

■ 46, Volkswirt. Seit 2002 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, seit 2008 GAL-Fraktionschef, 2001 bis 2008 stellvertretender Landes-vorsitzender Foto: dpa

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Kerstan, nach unserem Eindruck hält der SPD-Senat Umweltpolitik für überflüssigen Klimbim. Da müsste Ihnen Opposition leichtfallen?

Jens Kerstan: Unter Bürgermeister Olaf Scholz ist Hamburg in der Tat vom Vorreiter zum Bremser geworden. Umweltpolitik wird von der SPD abgewickelt. Das ist eine Sichtweise aus dem vorigen Jahrhundert, zukunftsfähig ist das nicht.

2011 hatten Sie sich Hoffnungen auf eine rot-grüne Koalition gemacht. Sind Sie heute heilfroh, dass das nicht geklappt hat?

Wir würden schon lieber mit der SPD zusammen eine bessere Zukunft für Hamburg gestalten. In einer rot-grünen Koalition wäre Umweltpolitik ein Schwerpunkt, dafür hätten wir schon gesorgt. Deshalb ist der jetzige Zustand wirklich schlecht für Hamburg.

Trotz dieser Differenz sind seit Jahresbeginn in der Bürgerschaft viele Beschlüsse mit breiten Mehrheiten oder einstimmig gefasst worden. Gibt es im Rathaus eine Konsenssucht?

Nein. Aber sicher ist es so, dass wir nicht völlig ohne Grund mit der SPD koalieren wollten. Da gibt es viele politische Schnittmengen. Und wenn die SPD sinnvolle Dinge macht, unterstützen wir das natürlich. Andererseits haben wir als Grüne in dieser Legislaturperiode schon zwei Mal das Landesverfassungsgericht angerufen – wegen des Hapag-Lloyd-Deals und der Geschäftsordnungstricks bei der Wahl des Rechnungshof-Präsidenten.

Es gibt also im Rathaus weder eine Einheitsliste noch Opposition um jeden Preis?

Wir Grüne sind eine Partei, die in breiten Debattenprozessen Positionen entwickelt und weiterträgt. Damit setzen wir die Regierenden unter Druck. Und wenn wir sie dazu bringen, dass sie mal was richtig machen, stimmen wir gern zu. Das ist keine Konsenssucht, sondern grüner Gestaltungswille.

Aber die SPD regelt das ja in wechselnden Konstellationen: Schuldenbremse mit Grünen und FDP, Nichtraucherschutz mit Linken und einigen Christdemokraten – sind diese Kooperationen Versuche, die Opposition zu spalten?

Mag sein. Die SPD ist taktisch versiert genug, sich Optionen zu eröffnen für alle Fälle. Diese Partei und ihr Vorsitzender und Bürgermeister sind vom Willen zum Machterhalt getrieben.

Vielleicht will die SPD potenzielle Koalitionspartner für die nächste Legislaturperiode schon mal anfüttern – ein Leckerli hier, ein Leckerli dort?

Bei uns zumindest funktioniert das nicht. Wir stimmen dort zu, wo wir etwas inhaltlich vertreten können. Sonst nicht. Offensichtlich ist allerdings, dass die FDP sich als möglicher Koalitionspartner geradezu anbiedert. Die wäre im Zweifelsfall für die SPD ein billiger Jakob.

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding sagte vor drei Wochen im taz-Interview, sie könne sich nach der nächsten Wahl eine Koalition mit der SPD vorstellen. Das wundert Sie nicht?

Nein. Das ist der verzweifelte Versuch der FDP, der Öffentlichkeit einzureden, dass sie zu etwas nütze sein kann – als Steigbügelhalter für Olaf Scholz. Ein eigenständiges politisches Profil kann ich da nicht erkennen.

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel bestritt vorige Woche an dieser Stelle, auf Brautschau zu sein. Glauben Sie ihm das?

Das ist nur Show. In Wirklichkeit arbeitet die SPD daran, sich alle Optionen offenzuhalten. Wir machen uns da jetzt keine Gedanken, sondern versuchen, unsere Themen und Schwerpunkte durchzusetzen. Die eigene Linie muss man klar und konsequent vertreten, alles andere hilft bei der SPD nicht.

Dressel hat angeregt, die Arbeit der Härtefallkommission transparenter zu machen. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Das ist ein billiges Ablenkungsmanöver. In der Ausländerpolitik muss man leider feststellen, dass es unter der absoluten SPD-Mehrheit so schlimm ist wie vor zehn Jahren unter dem unseligen Rechtspopulisten Ronald Schill. Es wird kein politischer Einfluss mehr auf die Ausländerbehörde genommen, in Gremien wie dem Eingabenausschuss und der Härtefallkommission wird der mögliche Ermessenspielraum zugunsten der Betroffenen überhaupt nicht mehr genutzt.

Harte Worte.

Ich drücke mich sogar noch diplomatisch aus. Ich könnte auch sagen: Die SPD zieht eine prinzipienstarre Linie der Behörde ohne Rücksicht auf menschliche Schicksale durch. Die SPD hat eine große Angst vor Präzedenzfällen, auf die sich später andere berufen könnten. Deshalb votiert sie im Zweifel für Abschiebung. Dieser SPD fällt Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik leider sehr schwer.

Trotz Ihrer Skepsis: Wenn die SPD einen Gesetzesvorschlag zur Lockerung der Vertraulichkeit der Härtefallkommission vorlegen würde, wären Sie dann gesprächsbereit?

Dann würden wir natürlich darüber reden. Das grundlegende Problem aber ist, dass die SPD nicht bereit ist, im Einzelfall Menschlichkeit walten zu lassen. Da hilft Transparenz wenig.

In zweieinhalb Jahren sind schon wieder Bürgerschaftswahlen. Würde es Ihnen danach wirklich gefallen, unter einem so dominanten Regierungschef wie Olaf Scholz mitzuregieren?

Die beiden bisherigen Koalitionen – Rot-Grün und Schwarz-Grün – waren auch kein reines Vergnügen. Wir sind hartes Verhandeln, aber auch Kompromisse und Kummer gewohnt. Das schreckt uns nicht.

Längere Fassung des Interviews auf www.taz.de/nord