Zehn Sterne unter fünf Ringen

HINGUCKER Spiel, Kampf, Klatsch und Träume. Es geht um Gold – und Geschichte. Die taz stellt Olympioniken vor, von denen bald ganz viel gesprochen werden könnte

Kohei Uchimura (Japan), Turner: Seit er drei Jahre alt ist, trainiert er für Olympia. Seine Eltern, die beide selbst Turner waren, haben früh begonnen, ihren Sohn zum perfekten Athleten zu formen. Als solcher gilt der heute 23-Jährige, der seinen Körper auch bei den schwierigsten Flugübungen im Griff hat wie kein Zweiter schon seit drei Jahren. Drei Mal hintereinander ist er Mehrkampfweltmeister geworden, hat Noten erhalten, die bis dato nicht für möglich gehalten wurden. Fällt er nicht vom Reck, ist er nicht zu schlagen und einfach eine Augenweide.

Lena Schöneborn (Deutschland), Moderne Fünfkämpferin: Die Olympiasiegerin von Peking ist gewiss kein Superstar, auch wenn sie es vor vier Jahren einmal in eine Runde bei Johannes B. Kerner geschafft hat. Sie fühlt sich als wahre Olympionikin und kann immer noch nicht verstehen, dass ernsthaft erwogen wurde, den urolympischen Mehrkampf aus Schwimmen, Fechten, Reiten, Schießen und Laufen aus dem Programm der Spiele zu streichen. In London wird der Fünfkampf eine Party feiern. 15.000 Karten sind dafür verkauft worden. Eine irre Kulisse für Schöneborns Traum vom zweiten Gold.

Federica Pellegrini (Italien), Schwimmerin: Italiens Sportheldin wird in ihrer Heimat nicht nur deshalb geliebt, weil sie bei Großereignissen über 200 Meter Freistil seit Jahren ungeschlagen ist und über 400 Meter einen schier unglaublichen Weltrekord hält (3:59.15 Minuten). Ihre ständigen, bisweilen absurden Trainerwechsel werden ebenso heftig diskutiert wie ihre Liebschaften mit Männern aus dem italienischen Schwimmteam. Zurzeit ist Filippo Magnini ihr Lover. Doch es soll kriseln. Sind ihre sicher geglaubten Goldmedaillen jetzt in Gefahr?

Mary Kom (Indien), Boxerin: Neun Goldmedaillen haben indische Sportler bisher bei olympischen Spielen gewonnen. Für die zehnte soll eine Frau sorgen. Mangte Chungneijang Mary Kom soll ihre Karriere, in der sie fünf Mal Weltmeisterin in den leichten Gewichtsklassen um die 50 Kilo war, krönen. Danach will die Mutter zweier Kinder ihre Karriere beenden. Die 29-jährige Frau aus Mumbai ist eine Pionierin des Frauenboxens. Sie hat bei allen sechs Weltmeisterschaften eine Medaille geholt. Niemand kann sich vorstellen, dass ihr das bei der Olympia-Premiere ihres Sports nicht gelingt.

Edna Kiplagat (Kenia), Marathonläuferin: Am Ende des wohl irrsten Laufs in ihrem Leben wurde die 32-Jährige mit Gold ausgezeichnet. Bei den Weltmeisterschaften im südkoreanischen Daegu im vergangenen Jahr war ihr Sharon Cherop, ihre Landsfrau, in die Hacken getreten. Kiplagat stürzte. Sie stand auf, lief zur Spitze auf und gewann den Titel über die Marathondistanz. Die Bestzeit der Läuferin, die zwei Kinder mit ihrem Trainer Gilbert Koech hat, steht bei 2:19:50 Stunden. Gelaufen hat sie die in London, wo vielleicht bald jeder die Geschichte der ehemaligen Grasläuferin kennen wird.

Chris Hoy (Großbritannien), Bahnradsportler: Ausgerechnet ein Radfahrer wird das britische Olympiateam bei der Eröffnungsfeier mit der Fahne in der Hand ins Stadion führen. Doch an Doping denkt im Olympialand niemand, wenn er den Namen Hoy hört. Der schottische Sprinter ist zum Ritter geschlagen worden, nachdem er in Peking drei Goldmedaillen auf der Bahn gewonnen hat. Auch wenn der 36-jährige Altradler im Einzelsprint nicht antreten und nur im Keirin und im Teamsprint an den Start gehen wird, gehört er schon vor dem ersten Rennen zu den großen Stars der Spiele.

Yohan Blake (Jamaika), Sprinter: Als er im vergangenen Jahr Weltmeister über 100 Meter geworden ist, hat beinahe niemand über ihn geredet. Alles sprach vom Fehlstart, den Wundersprinter Usain Bolt hingelegt hat. Erst der habe Blake den Titel ermöglicht. Die Zeiten haben sich geändert. Blake hat Bolt in diesem Jahr über 100 und 200 Meter geschlagen, ist die viertschnellste Zeit gelaufen, die je über 100 Meter erzielt wurde (9,75 Sek.) und wird endlich ernst genommen. Und während alle Welt über die Fitness von Bolt rätselt, könnte sich Blake in dessen Schatten zum ganz großen Ruhm sprinten.

Kerri Walsh und Misty May-Treanor (USA), Beachvolleyball: Zehn Jahre spielen die beiden Frauen nun schon zusammen auf dem Sand, und immer wenn sie zusammen gespielt haben, dominierten sie die Szene. Auch wenn die beiden nicht mehr die Jüngsten sind – Walsh ist 33, May-Treanor 35 – wird es schwer werden, ihr drittes (!) Olympiagold zu verhindern. Und für eine Herz-Schmerz-Geschichte sind die Amerikanerinnen auch immer gut. Im Jahr 2004 starb May-Treanors Mutter kurz vor den Spielen, 2008 riss ihre Achillessehne bei einer Tanzshow.

LeBron James (USA), Basketballer: Der Meister der Miami Heat, der Wertvolle, der König, der Superreiche in der Welt der Olympioniken, wird einer der Hingucker der Spiele werden. Es gibt keinen Zweifel, dass er mit dem Team USA die Goldmedaille gewinnt, und doch wird er alles geben. Er spielt um einen Platz in der Sportgeschichte. Das erste US-Profi-Team mit Michael Jordan und Magic Johnson, das im Jahr 1992 in Barcelona alles in Grund und Boden gespielt hat, gilt als beste Mannschaft aller Zeiten. Bis jetzt. LeBron James, 27 Jahre alt, 2,03 Meter groß, will es ändern.

Thomas Lurz (Deutschland), Schwimmer: Er ist draußen zu Hause. Er schwimmt die langen Strecken unter freiem Himmel. Niemand ist so oft Weltmeister geworden wie der 32-jährige Sportsoldat aus Würzburg. Zehn goldene WM-Medaillen hat er. Vom Olympiasieg hat er bereits geträumt, sagt er, hat im Schlaf gesehen, dass er „dem Griechen“ am Ende der 10 Kilometer davongeschwommen ist. Spyridon Gianniotis heißt sein Dauerkonkurrent. Der Wasserkampf gegen ihn im Hyde Park könnte zu einem der spannendsten Duelle der Spiele werden. ANDREAS RÜTTENAUER