Ein Bauer kämpft um die Rübe

Landwirt Friedhelm Decker streitet für die Interessen der rheinischen Rübenbauern und gegen die EU-Kommission. Brüssel will die Zuckerpreise senken: „Das ist bekloppt“, so der Funktionär

AUS KÖLN-WIDDERSDORF ISABEL FANNRICH

Friedhelm Decker blickt über sein Rübenfeld. Nur selten sitzt der Bauer auf dem Trecker, nur zu Stoßzeiten legt er Hand an bei der maschinellen Ernte von Rüben oder Getreide auf seinen 180 Hektar. Häufiger führt ihn seine Arbeit über eine schmiedeeiserne Wendeltreppe an den Schreibtisch im ersten Stock seines großen Bauernhauses in Köln-Widdersdorf. Von hier blickt er in das geräumige Innere des Backsteinhofs mit den grünen Fensterläden, der schräg gegenüber der Kirche im alten Ortsteil liegt. Neben zahlreichen Autos, großen Pflanzenkübeln, einem kleinen Brunnen und dem Madonnenrelief von 1870 warten drei Trecker auf ihren nächsten Ernteeinsatz. Die ganze Aufmerksamkeit des Bauern gilt jetzt der EU-Kommission in Brüssel. Denn die will das gute Geschäft mit der Rübe drastisch einschränken: Die Rübenbauern erwarten einen Einkommensverlust um bis zu 50 Prozent.

Von seinem Computer aus, auf Sitzungen und Reisen versucht der 59-jährige Decker, die Zukunft der rheinischen Bauern mit zu bestimmen. Der studierte Agraringenieur ist Funktionär in vorderster Reihe. Als Präsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes (RLV) reiste er noch vor wenigen Tagen nach Brüssel, um mit tausend Rübenbauern aus NRW gegen die geplante Reform des Zuckermarktes zu protestieren. Zwar zählen Begriffe wie Quote und Prämiensystem schon lange zum Vokabular jedes Landwirts. „Aber selbst der kleinste Bauer beschäftigt sich nun mit Marktordnungs-Fragen“, ereifert sich Decker. „Das ist bekloppt!“

Ein Jahr bevor die EU-Zuckermarktordnung von 1968 ausläuft, hat die dänische EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel angekündigt, die Preise und Produktionsmengen für Zucker in Europa deutlich zu reduzieren. Der weit über Weltmarktniveau liegende EU-Preis pro Tonne Zucker soll in zwei Stufen um 39 Prozent gesenkt werden, die Tonne Rübe 43 Prozent weniger an Erlösen bringen. Jetzt stehen die Rübenbauern im Rheinland, einem der Hauptanbaugebiete Deutschlands, Kopf. Verbandsvertreter wie Decker gehen von einer Einkommensminderung zwischen 30 und 50 Prozent aus. „Worst Case wäre 50 Prozent“, sagt der grauhaarige Brillenträger, „aber das kann die EU-Kommission nicht durchsetzen“.

Mit der unscheinbaren Zuckerrübe, die er auf 43 Hektar anbaut, bestreitet Decker immerhin rund 80 Prozent seines Gewinns. Die Rübe gleiche den schlechten Getreidepreis aus, betont er. Mit Weizen und Gerste schreibe er mal schwarze, mal rote Zahlen. Über Jahrzehnte hat die Zuckermarktordnung die Preise festgelegt, und für Importe etwa aus den Hauptproduktionsländern Indien, Brasilien und Thailand war der Markt bislang dicht. Das soll sich nach dem Willen der Welthandelsorganisation WTO und der EU nun ändern.

1974 hatte Decker den 50 Hektar großen Betrieb vom Vater übernommen. Anfang der 70er, so erzählt er, sei der Rübenanbau nicht besonders attraktiv gewesen. Arbeitsintensiv, kompliziertes Know How, das Einkommen nicht berauschend. „Weil wenig Zucker auf dem Markt war, knieten die Fabrikanten vor den Toren, um die Bauern zum Rübenanbau zu bewegen“, sagt Decker. Damals rutschten die Arbeiter noch auf Gummiringen an den Knien die Pflanzenreihen entlang, um aus jedem Keim die überschüssigen Pflanzen zu entfernen. „Die Devise hieß: Bleibe ich bei meiner Betriebsgröße, bin ich ein Auslaufmodell.“ Decker entschied sich für die Ausweitung der Fläche und des Rübenanbaus.

Kurz darauf führte die damalige EG eine Quotierung des Anbaus ein. Heute profitieren die Bauern neben dem geschützten Markt auch von Züchtungsergebnissen und technischer Entwicklung: Längst sind die Pflanzen einkeimig, Maschinen und Unkrautvernichtungsmittel erleichtern die Arbeit. Schon in den 80er Jahren war die Aussaat und Ernte per Hand „nicht mehr vorstellbar“, so Decker. Als Verbandsvorsitzender hat er die Zahlen sofort parat. Setzte in den 30er Jahren ein Bauer 250 Arbeitsstunden pro Hektar Rübe ein, seien es heute nur noch 15.

Den Großteil seiner Zeit steckt der gebürtige Kölner und Vater von drei Kindern in die ehrenamtliche Verbandsarbeit beim RLV, der dem Bauernverband untersteht, und beim Rheinischen Rübenbauer-Verband. Vor mehr als zehn Jahren entwickelte er eine „Kooperation“ mit zwei weiteren Betrieben. Mit einem im Ort ansässigen Bauern und dem Gutsbetrieb des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung teilt sich der geschäftstüchtige Decker die landwirtschaftlichen Maschinen. Weil die Rübenernte aus Kostengründen in eine GbR ausgelagert ist, kommt die Kooperationsgemeinschaft bei 400 Hektar mit drei Vollzeitstellen aus.

Die ersten Einschnitte hat Decker bereits zu spüren bekommen. Die Verbände würden mit einer EU-Entscheidung rechnen, dass bis zu 15 Prozent der Rübenernte in diesem Jahr unter dem normalen, kostendeckenden Preis bezahlt werden sollen, erzählt er. „In vorauseilendem Gehorsam“ habe er deshalb die Anbaufläche verkleinert. Mehr als 20.000 Euro büße er an Gewinn ein. „Es ist eine politische Entscheidung, zu sagen: Wir machen den Laden in Europa zu“, kritisiert Decker und redet über Weltmarkt, niedrige brasilianische Sozialstandards und die „Toppböden der Köln-Aachener Bucht“. Von der neuen CDU-Landesregierung erwartet er, „die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre für den Sektor Landwirtschaft zu korrigieren“. Viel hängt für ihn an der vorgezogenen Bundestagwahl: „Wie sehen die Konstellationen danach aus? Sind wir in der Lage, unter anderer Mehrheit einen anderen Weg einzuschlagen?“ Kernfrage sei allerdings die EU-Preisreduzierung. „Mit einem Preisabschlag von 20 bis 25 Prozent beim Rübenpreis können wir leben“, kalkuliert er. „Aber eine 50-prozentige Gewinneinbuße bedeutet Kostendeckung und etwas Gewinn. Das ist zu wenig.“ Zwar hat die EU Ausgleichszahlungen in Höhe von 60 Prozent vorgeschlagen, aber derzeit sei alles noch unsicher. „Wir rechnen uns dumm und dämlich“, sagt Decker.

Ob er an seinem Hof hänge? „Grundsätzlich ja. Wenn Sie sich aber 20 Jahre mit der ganzen Bürokratie beschäftigt haben, relativiert sich das.“ Sein Sohn werde den Hof wohl nicht weiter führen. Die Widdersdorfer sähen es mittlerweile ungern, dass ein Bauer früh morgens mit dem Mähdrescher mitten durch den Ort fahre. Und als Landwirt sei man doch sehr eingeschränkt: „Ich bin standortgebunden und kann nicht 100 Hektar nehmen und nach Polen gehen.“ Allerdings, schränkt Decker ein, „wäre es nicht unbedingt ein Highlight zu sagen: Ich bin der Letzte.“