Peter Harry auf großer Fahrt

In der Sommerpause ruht die Politik nicht ganz. Der frisch gewählte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein machte eine Dampferfahrt nach Sylt und traf an Bord alte Bekannte. Und auch andere Regierungschefs des Nordens entwickeln Aktivitäten

Carstensen verschenkt den Klingelton gern: „Ich bin der einzige Ministerpräsident, der mit Bluetooth umgehen kann“, sagt er

von Esther Geißlinger

„Fußballweltmeisterschaft 2006“, sagt Peter Harry Carstensen unvermittelt. „Wenn Horst Köhler dann unpässlich sein sollte, überreiche ich den Pokal.“ Denn zu dem Zeitpunkt wird Carstensen Bundesratspräsident sein, und der ist nominell wichtiger als der Bundeskanzler. Oder die Bundeskanzlerin. Mit Angela Merkel trifft sich Carstensen später an diesem Tag.

Ist es schön, Ministerpräsident zu sein, Herr Carstensen?

„Das glauben Sie gar nicht!“, sagt Peter Harry Carstensen, seit 86 Tagen Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

Doch.

Es ist Sommer, die Zeit der reisenden Politiker. In den Parlamenten herrscht Pause – auch wenn es eine trügerische Ruhe ist, angesichts der drohenden Neuwahlen im Herbst. Die schleswig-holsteinische Regierung, noch frisch und dabei, sich einzufinden in neue Ämter und neue Konstellationen, macht nicht so richtig Ferien. Viele Minister sind im Lande geblieben und arbeiten, allen voran der Ministerpräsident. Die Sommertouren sind Teil des Jobs, eine Gelegenheit, sich den Menschen im Land zu zeigen, sich in kleinen Dörfern über große Projekte und in größeren Städten über kleine Fortschritte zu informieren. Und von Sorgen zu erfahren, die die Leute schon immer ganz oben loswerden wollten.

Bei seiner ersten Sommertour – drei weitere werden folgen – bleibt Carstensen auf seinem heimischen Spielplatz: Es geht von Nordstrand, wo Carstensen wohnt, nach Sylt. Eine Tour mit alten Bekannten. Mit Frauke Nielsen, geborene Andresen, die an Bord der „Adler Express“ zwischen Strucklahnungshörn und Hörnum Brötchenplatten herumreicht, ist Carstensen konfirmiert worden. Mit Kurt Paulsen, der das Schiff steuert, ist Carstensen das erste Mal vor 42 Jahren auf See gewesen. Die Küsten-Reeder, die mit an Bord sind, kennt Carstensen seit Jahren, auch den Landrat des Kreises Nordfriesland, und viele der anderen Leute, die Carstensen an diesem Tag trifft. Er hat gute Laune.

Die Reeder, angeführt von Axel Meynköhn, Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei, und Sven Paulsen von „Adler Express“, sind eine angenehme Gruppe: „Wir wollen vom Land kein Geld, brauchen aber Unterstützung“, sagt Meynköhn. Die Reeder beklagen sich über die europäischen Sicherheitsvorschriften, nach denen die Dampfer, die durch das Wattenmeer von Insel zu Insel tuckern, als Hochseeschiffe eingestuft sind. Zum Glück für den CDU-Ministerpräsidenten ist nicht er, sondern die rot-grüne Bundesregierung für die Umsetzung zuständig. „Ich brauche nur einen Platz im Rettungsboot“, sagt Carstensen und verspricht, sich zu kümmern. „Natürlich stehen wir dazu, EU-Richtlinien umzusetzen. Aber was wir machen, ist Eigendiskriminierung, indem wir die Regeln noch verschärfen und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen kaputt machen.“

Der mitreisende Referent des Wirtschaftsministeriums macht sich eifrig Notizen, und Axel Meynköhn glaubt, dass das Gespräch etwas gebracht habe. Jovial wendet Carstensen sich an die Vertreterin einer kleinen Reederei: „Ein Familienbetrieb, was man daran sieht, dass die Frau in der Versammlung sitzt, weil der Mann arbeiten muss.“ Das ist so ein kleiner Peter-Harrismus – nicht böse gemeint, aber ein Misston für feministisch geschulte Ohren. In der Runde zuckt niemand.

Doch Peter Harry Carstensen ist nicht nur an Bord, um Reeder zu treffen – als draußen vor dem Fenster ein paar Seehundsköpfe auftauchen, eilt der Ministerpräsident aufs Achterdeck: Die Seehunde tauchen in die gischtenden Wellen, der Politiker in die Menge. Die ist nicht sonderlich groß, aber immerhin neugierig. Nicht jeder erkennt Carstensen, so lange ist er noch nicht im Amt, und unter den Fahrgästen sind eine Menge Urlauber aus anderen Bundesländern.

Aber ein großer Mann wie Carstensen fällt auf, vor allem, wenn er einen Schweif von Fotografen und Fernsehkameras hinter sich her zieht. Ein kleiner Junge bittet erst die Frau vom Fernsehen um ein Autogramm und schaltet dann schnell, als die Umstehenden grinsen: „Von Ihnen auch, bitte“, wendet er sich artig an den Ministerpräsidenten. An der Strandpromenade von Kampen auf Sylt, ein paar Stunden später, gibt Carstensen weitere Autogramme, befragt Urlauber, wie lange sie schon hier sind. Er hat Glück: Der Tag ist zwar regnerisch, aber wann immer der Sommertour-Tross den Bus verlässt, klart der Himmel auf.

Zwischendurch, im Bus, präsentiert Carstensen seinen Handy-Klingelton, das „Plopp-Plopp“ der Flensburger-Bierflaschen. Der Ton ist schon richtig berühmt, weil Carstensen ihn am Tag der Vertrauensfrage, als das politische Deutschland eigentlich mit anderen Dingen beschäftigt war, im Bundestag vorspielte. Carstensen verschenkt den Klingelton gern: „Ich bin der einzige Ministerpräsident, der mit Bluetooth umgehen kann“, sagt er und fügt an, dass Harald Blauzahn um etwa 1000 nach Christus lebte.

Carstensen weiß viele Dinge, aber er tut nicht so, als wisse er alles. Bei den weiteren Terminen des Tages, es geht um touristische Projekte auf Sylt, bleibt er allgemein, lobt, verspricht nichts, was er nicht halten kann. Er gibt den Landesvater – der auch mal streng sein kann und keine Auseinandersetzung fürchtet: „Ich sage den Leuten direkt, wenn etwas nicht geht.“

Am Abend trifft sich Carstensen mit Angela Merkel, die in einer Buchhandlung Autogramme gegeben hat. Sie essen gemeinsam Kuchen in einem Café. Wer weiß, vielleicht reden sie schon mal darüber, wer bei der Fußball-WM den Pokal überreicht.