die woche in berlin
: die woche in berlin

Plötzlich reden alle über – Tierschutz: Die Tierversuchskommission, die in die Genehmigung von Forschungsvorhaben eingebunden ist, wird neu besetzt. Was sonst noch geschah: Das Semesterticket ist in akuter Gefahr. Ach ja, und Corona: Am Mittwoch kamen in Berlin Wasserwerfer zum Einsatz gegen Pandemieleugner, das erste Mal seit vielen Jahren

Die Wasser­werfer waren einkalkuliert

Zur Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz

Sie waren bestens vorbereitet, die Demonstrant*innen, die am Mittwoch gegen die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes demonstrierten. Mit Taucherbrillen, Planen und Regencapes schützten sich viele in den vorderen Reihen an der Polizeiabsperrung Richtung Reichstag gegen Pfefferspray und den Einsatz von Wasserwerfern, den Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Vorfeld ausgeschlossen hatte. Manche hatten gar Schnorchel dabei, einer wusch sich unter dem Regen der Wasserwerfer mit Duschgel die Haare. Die gewaltsamen Proteste, bei denen auch Feuerwerk zum Einsatz kam, Flaschen flogen und Polizist*innen körperlich attackiert wurden, waren keine spontane Reaktion, sie waren einkalkuliert und als Inszenierung gewollt.

Es ist nicht weniger als eine Revolution, die ein großer Teil der Demonstrant*innen anstrebt. Immer wieder erschallte dieser Ruf. Er ist die Konsequenz aus dem Versuch rechter politischer Kräfte wie der AfD und selbsternannter alternativer Medien, die seit Jahren daran arbeiten, das Vertrauen in sämtliche Institutionen der Demokratie, der Presse und der Wissenschaft zu untergraben. Nur wo sachliche Informationen als Lüge diffamiert werden, ist Platz für andere Erzählungen etwa über die Ungefährlichkeit von Covid-19, einer nicht souveränen Bundesrepublik oder einem neuen „Ermächtigungsgesetz“, mit dem die Grundrechte abgeschafft würden. Wer all das glaubt, wird zwangsläufig zum radikalen Staatsgegner.

Es sind nicht nur die organisierten rechten Kräfte, die dieses System stürzen wollen. Radikale Christ*innen, nicht selten aus den katholischen Hochburgen in Schwaben oder dem Erzgebirge, arbeiten ebenso eifrig an dessen Abschaffung wie Verschwörungsideolog*innen, die immer mehr Menschen in ihren Bann ziehen.

Davon zu profitieren versucht die AfD, die inzwischen voll darauf setzt, über die Coronaproteste eine neue Wähler*innenklientel zu erschießen. Nicht umsonst waren AfDler auf allen Ebenen mit dabei: Im Strahl der Wasserwerfer, als feixende Beobachter*innen am Rand oder als Provokateure im Bundestag, die die Erzählungen der Straße in ihre Reden übertrugen.

Die Trennung der Demonstrant*innen, in die um ihre Grundrechte besorgten und von Existenzängsten geplagten friedlichen Bürger*innen und die radikalen Kräfte von rechts führt in die Irre. Weil sie dieselben Medien konsumieren, nähern sie sich ideologisch immer weiter an. Offen auftretende Nazis werden auf diesen Veranstaltungen entweder gar nicht oder nicht als Problem wahrgenommen – man dürfe sich ja nicht spalten lassen.

Selbst die ausgeübte Gewalt schreckt die vermeintlichen Normalo-Demonstrant*innen mit ihren Luftballons und Friedensschildern nicht ab. Lieber ließen sich Familien vom Wasserwerfer beregnen, als das Weite zu suchen und sich zu distanzieren. Die Radikalisierung der Querdenkenszene läuft ungebremst weiter. Erik Peter

Studierende bald ohne Semesterticket?

VBB und Studis im Streit über Preiserhögung

Guten Tag. Die Fahrscheine bitte!“ Ein Satz, bei dem die allermeisten Studierenden in Berlin und Brandenburg bisher ganz entspannt ihre Studiausweise zücken konnten. Ihr Ticket gehört seit vielen Jahren standardmäßig zum Repertoire im studentischen Alltag. Bald könnte allerdings für die über 200.000 Studierenden in Berlin und Brandenburg der Gang zum Fahrkartenautomaten oder der Griff zur Monatskarte zur neuen (und teuren) Routine werden.

Der Grund dafür: Der Verkehrsbund Berlin-Brandenburg (VBB) möchte die Preise für das Semesterticket im Laufe der nächsten Jahre schrittweise erhöhen, wie diese Woche bekannt wurde. Studierendenvertreter lehnen das strikt ab. Bis Anfang Dezember braucht es eigentlich eine Einigung, damit die Unis die Semesterbeiträge rechtzeitig festlegen können. Passiert nicht bald etwas, laufen die Verträge aus und das „Semtix“ ist ab Ende März Geschichte.

Dass die Auswirkungen der Coronapandemie auch den VBB trifft und dieser mit Preiserhöhungen versucht Ausfälle zu kompensieren, ist irgendwie verständlich. Nicht verständlich ist hingegen, warum ausgerechnet Studis jetzt mehr blechen sollen. Es ist ja nicht nur so, dass viele Studierende durch den Verlust ihrer Nebenjobs selbst hart von der Pandemie getroffen wurden, durch die Umstellung der Lehre auf überwiegend digitale Formen müssen oder können sie das Ticket schon seit Monaten gar nicht voll in Anspruch nehmen. Mit mindestens einem weiteren Digitalsemester am Horizont wird sich diese Lage auch so bald nicht ändern.

Im Gegensatz zu anderen Kund:innengruppen der VBB bezahlen die Studis ihre Tickets aber auch, wenn sie diese nicht nutzen: Es wird über ein Solidarmodell finanziert. Alle ordentlich immatrikulierten Studierenden bezahlen über ihre Semestergebühren fürs Ticket. Für die VBB bedeutet das durch die bisher üblichen Dreijahresverträge fast eine Viertelmilliarde Euro an sicheren Einnahmen, die sie jetzt aufs Spiel setzen.

Anstatt also die sowieso zahlenden, durch die Krise schwer getroffenen Studis zur Kasse zu bitten, sollten VBB und Politiker:innen nach Wegen suchen, die den ÖPNV zugänglicher (und billiger) für alle machen. Die Attraktivität des Nahverkehrs wird durch Preiserhöhungen jedenfalls nicht gesteigert.

Roberto Sanchino Martinez

Wissenschafts­standort Berlin geschwächt

Tierversuche: ein Streitthema in Politik und Gesellschaft

Wie wird man eigentlich Tierschützer*in? Mit dem Tierschutz-Meisterbrief? Der bronzenen Ehrennadel von Peta oder dem örtlichen Tierschutzverein? Oder muss man nur lang genug streunende Katzen gefüttert haben, damit diese künftig noch besser Kleintiere wie Mäuse und Ratten töten können?

Um deren Wohl in Forschungslaboren ringt jedenfalls die Tierversuchskommission des Landes Berlin. Jedenfalls sollte sie das. Allerdings soll die Zusammensetzung des Expertengremiums nach dem Willen des zuständigen grünen Senators Dirk Behrendt (Grüne) zugunsten des Tierschutzes verändert werden – welches zusätzliche Expertenwissen auch immer damit gewonnen werden soll. Aber die Neubesetzung ist bislang nicht gelungen, sodass die Kommission nicht wie geplant im September tagte und seither auch nicht. Nächste Woche könnte es so weit sein.

Tierversuche sind nach Meinung des überwiegenden Teils der Forscher*innen unentbehrlich. Zwar wird in Berlin schon lange die sogenannte 3R-Strategie verfolgt: Reduce, Replace, Refine. Also Reduktion der Zahl von für Versuche benötigten Tieren, verbesserte Versuchs- und Haltungsbedingungen sowie Ersatz von Tierversuchen durch andere Methoden, wo das möglich ist. Mit der Meinung allerdings, man könne in absehbarer Zeit ganz auf sie verzichten, steht die neue Berliner Tierschutzbeauftragte Kathrin Herrmann in der Wissenschaft ziemlich alleine da.

Zumal Tierversuche gesetzlich stark reglementiert sind und nur bei ausführlicher Begründung genehmigt werden. Die von Tierversuchsgegnern beklagte hohe Genehmigungsquote hängt genau damit zusammen: Der Aufwand für die Anträge ist hoch, sodass die Forscher*innen schon im Vorfeld auf Nummer sicher gehen und möglichst solide begründen.

20 solcher Anträge warten nun auf die Stellungnahme der Kommission in der gesetzlich eigentlich mit vier Wochen festgelegten Frist, darunter ein besonders eiliger aus der Covid-19-Forschung. Angesichts der Coronakrise ist diese Selbstfindungsauszeit höchst befremdlich. Vielleicht soll das Ziel einer tierversuchsfreien Stadt mangels fachlicher Alternativen durch Verzögerungstaktik erreicht werden?

Die führenden Forschungseinrichtungen Berlins haben sich jedenfalls in einem Brandbrief an den Senat in dieser Woche deutlich darüber beklagt, dass ihnen durch die Arbeitsverweigerung im Bereich Tierschutz massiv Steine in den Weg gelegt würden, was den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) nun zum persönlichen Eingreifen veranlasst hat.

Für die Grünen tut sich hier wie schon im Fall Homöopathie eine Glaubwürdigkeitslücke auf: Während man bei Klimaschutz und Biodiversitätskrise zu Recht darauf besteht, der Wissenschaft zu folgen, scheint diese bei Tierversuchen plötzlich eher lästig zu sein. Weshalb wichtige Forschungsfragen blockiert und der Wissenschaftsstandort Berlin geschwächt werden.

Um aber mal die Relationen zu betrachten: Für jeden Berliner werden im Lauf seines Lebens vier Versuchstiere eingesetzt – inklusive den viel genutzten Zebrafischen. In derselben Zeit isst er durchschnittlich deutlich über 1.000 andere Tiere einfach auf. Ganz ohne jeden Kommissionsentscheid.

Heiko Werning

Für jeden Berliner werden im Lauf seines Lebens vier Versuchstiere eingesetzt – inklusive den viel genutzten Zebrafischen.

Heiko Werningüber den Tierschutz, der bei der Genehmigung von Forschungsvorhaben in Berlin mehr Gewicht bekommen soll