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: HELMUT HÖGE über Affenfelsen

„Weder als Tierfilm noch als Soap“ (Cord Riechelmann)

Sommerferienzeit – Feldforschungszeit: Jetzt tummeln sich an den diversen Berliner Affenfelsen wieder die Primatenforscher, Anthropologen, Ethnologen und Kommunikationswissenschaftler, aber auch Journalisten, Radioreporter, Fernsehteams und Modescouts mit ihren sensiblen Multimedia-Aufzeichnungsgeräten. Es geht dabei nicht nur um aktuelle Trends und Gegentrends, sondern auch um das Paarungsverhalten, um intersexuelle und multikulturelle Missverständnisse, Konsumneigungen sowie um herbe Erwartungsenttäuschungen.

Letzteres interessiert besonders die Tourismusforscher, während die Spanner selber davon betroffen sind. Für die asiatischen Berlintouristen war zum Beispiel eine Fahrt in der sommerlich erhitzten U-Bahn immer wie ein Porno, weil die leichtbekleideten weiblichen Fahrgäste dabei oft ihre behaarten Achseln entblößten, besonders wenn sie sich an den Haltestangen festhielten. Nun hat sich die amerikanische Damenrasur aber auch hier durchgesetzt. Am Strandbad Wannsee sieht man, dass die Mädels sich auch durchweg ihrer Schamhaare entledigt haben, „weil die Tangas immer knapper werden“, wie sie sagen.

Das erklärt das Phänomen aber nicht ganz. Wir müssen warten, bis das „Tangaprojekt“ der HU-Kulturwissenschaftler im Wintersemester erste Ergebnisse vorlegt. Sie haben sich dabei auf die Spree-Strandbars in Mitte und auf das Badeschiff in Treptow konzentriert, um nicht den FU-Philosophen in die Quere zu kommen, die heuer das eher proletarisch-durchwachsene Strandbad Wannsee observieren. Eine linke Abspaltung hat sich bis an die Kaulsdorfer Kiesgrube vorgewagt, wo sich vorwiegend kinderreiche Arbeitslose tummeln – denen die Arbeitsagenturen anscheinend nahe gelegt haben, sich von ihren ganzen Piercings und Tattoos zu trennen. Dafür werben auch diverse mit Laser ausgerüstete medizinische Institute in den U-Bahnen.

Die umherschweifenden europäischen Ethnologen der HU arbeiten heuer an einem Vergleich der Affenfelsen Checkpoint Charlie und Wannseebad: Ersterer steht für eine immer nur kurzzeitige Massierung von Dumpftouristen, die sich dort, umzingelt von schlechten Imbissstätten und teuren Souvenirständen, auf die Schnelle antikommunistische Schauer reinziehen (und Fotos davon machen). Letzterer ist eine langsam gewachsene Begegnungsstätte für Altberliner Rüpel, die ihre Spracharmut und Aufdringlichkeit jedoch durch Dauereintrittskarten und somit lässige Locationsicherheit entzerren.

Wobei es auch noch den nahen Nebenkriegsschauplatz „Spinnerbrücke“ zu berücksichtigen gilt, wo sich derzeit täglich hunderte Motorradfahrer treffen, die über nichts anderes als ihren „Bock“ und ihre „Touren“ kommunizieren. Die studentische Untergruppe, die hier forscht, hat zuvor ein Praktikum beim Kfz-Kollektiv am Anhalter Bahnhof absolviert, um überhaupt mitreden zu können.

Das „Affentheater“ (John Berger) am Checkpoint Charlie besteht primär darin, dass sich kurzbehoste Männer und dicke Frauen in langen Gewändern um amerikanisch kauderwelschende Cityguides scharren, die ihnen die Schandtaten erst der nationalsozialistischen und dann der kommunistischen Alphatiere quasi plastisch und vor Ort vor Augen führen.

Am Wannseebad hat unter anderem der Primatologenpapst Robert Yerkes demgegenüber einige Paradigmenwechsel ausgemacht: Anfänglich „sicherten dort die motorisch aktiven Männchen das Terrain für die passiven Weibchen“. Daran änderte auch die Einführung der Pille Mitte der 60er-Jahre nichts – im Gegenteil, die Männchen wurden noch dreister. Während bei den Weibchen das Bewusstsein hinter ihrem Sein herhinkte.

Nun ist es dort jedoch umgekehrt: Es sind die Weibchen, die die Männchen „anbaggern“. Und die reagieren darauf mehr oder weniger verschreckt. Wie der Sexualforscher Dr. Salm-Schwader berichtet, kommen fast nur noch Jungs in seine Beratung: „Unsere Mädels wollen mit uns vögeln, was sollen wir machen?“, fragen sie. Jetzt ist es das Bewusstsein der Männchen, das hinter ihrem Sein zurückgeblieben ist.

Das gilt auch für die nocturnen Clubrituale, wo die durchweg mehr verdienenden Weibchen langsam den oft sogar gänzlich einkommenslosen Männchen Drinks spendieren müssen, was diese jedoch noch nicht gewohnt sind. Mit der Folge, dass die „Schlappschwänzigkeit“ laut Salm-Schwader „bereits epidemisch geworden ist“.